Brunetti 05 - Acqua alta
überprüfen. Bei ihnen ist man auf das Auge angewiesen.«
»Und bei den Keramiken nicht?«
»Natürlich braucht man auch da das geschulte Auge, aber glücklicherweise sind die technischen Methoden, mit denen man ihre Echtheit nachweist, ebenso ausgeklügelt wie die für Gemälde.« Sie hielt kurz inne und fragte noch einmal: »Soll ich ins Technische gehen?«
»Ja, bitte«, sagte er und griff nach seinem Stift, wobei er sich sehr wie ein Schüler vorkam.
»Die von uns am meisten verwendete und zugleich verläßlichste Methode ist die Thermoluminiszenz. Dafür brauchen wir von dem fraglichen Keramikmaterial nur etwa dreißig Milligramm.« Sie beantwortete seine Frage, noch bevor er sie gestellt hatte, indem sie fortfuhr: »Es ist ganz einfach. Wir schaben sie von der Rückseite des Tellers oder der Unterseite einer Vase oder Statue ab. Die Menge ist so unerheblich, daß man es kaum merkt, wir brauchen eben nur eine kleine Probe. Ein Photoelektronenvervielfacher sagt uns dann mit einer Genauigkeit von zehn bis fünfzehn Prozent, wie alt das Material ist.«
»Wie funktioniert das?« fragte Brunetti. »Ich meine, nach welchem Prinzip?«
»Wenn Ton gebrannt wird, das heißt mit über dreihundert Grad Celsius, werden alle Elektronen in dem Material, aus dem er besteht - nun, es gibt wohl kein besseres Wort dafür -, ausgelöscht. Die Hitze vernichtet ihre elektrische Ladung. Dann fangen sie an, sich neue elektrische Ladungen zuzulegen. Und der Photoelektronenvervielfacher mißt, wieviel Energie sie absorbiert haben. Je älter das Material ist, desto heller leuchtet es.«
»Und die Ergebnisse sind genau?«
»Wie gesagt, auf etwa fünfzehn Prozent. Das heißt, bei einem angeblich zweitausend Jahre alten Stück bekommen wir ein Ergebnis, das uns auf etwa dreihundert Jahre genau sagt, wann es hergestellt wurde, oder besser, wann es zuletzt gebrannt wurde.«
»Und diesen Test haben Sie an den fraglichen Stücken noch in China vorgenommen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Eine solche technische Ausrüstung haben wir in Xi'an nicht.«
»Woher nehmen Sie dann die Gewißheit?«
Sie lächelte. »Das Auge. Ich habe sie mir angesehen und war ziemlich sicher, daß sie gefälscht waren.«
»Aber um ganz sicherzugehen, haben Sie da noch jemanden gefragt?«
»Wie ich schon sagte, ich habe an Semenzato geschrieben. Und als ich keine Antwort bekam, bin ich hergekommen.« Sie ersparte ihm die Frage. »Ja, ich habe Proben mitgebracht, Proben von den drei Stücken, die für mich am verdächtigsten waren, und von den anderen beiden, die ich auch für möglicherweise falsch hielt.«
»Wußte Semenzato, daß Sie diese Proben haben?«
»Nein, ich habe es ihm gegenüber nie erwähnt.«
»Wo sind sie jetzt?«
»Ich habe Zwischenstation bei einem kalifornischen Freund gemacht, der Kurator am Getty ist, und ihm einen Satz Proben dagelassen. Dort haben sie die Ausrüstung, und ich habe ihn gebeten, die Proben für mich zu untersuchen.«
»Hat er es getan?«
»Ja.«
»Und?«
»Ich habe ihn angerufen, als ich aus dem Krankenhaus kam. Alle drei Stücke, die ich für falsch hielt, sind erst kürzlich hergestellt worden, wahrscheinlich innerhalb der letzten drei Jahre.«
»Und die anderen beiden?«
»Sind echt.«
»Reicht ein Test denn aus?« fragte Brunetti.
»Ja.«
Und selbst wenn er kein hinreichender Beweis gewesen wäre, für Brunetti war das, was ihr und Semenzato widerfahren war, Beweis genug.
Nach einer Pause fragte Brett: »Und was nun?«
»Wir versuchen herauszubekommen, wer Semenzato umgebracht hat und wer die beiden Männer sind, die hier bei Ihnen waren.«
Ihr Blick war unbewegt und sehr skeptisch. Schließlich fragte sie: »Und wie stehen da die Chancen?«
Er zog die Polizeifotos von Salvatore La Capra aus der Jackentasche und reichte sie Brett. »War das einer der beiden?«
Sie nahm die Fotos, betrachtete sie ein Weilchen und gab sie ihm dann mit einem schlichten »Nein« zurück. »Es waren Sizilianer«, sagte sie. »Wahrscheinlich sind sie inzwischen wieder zu Hause, bezahlt und glücklich bei Frau und Kindern. Ihre Expedition war erfolgreich. Sie haben erledigt, was man ihnen aufgetragen hatte: mir Angst einzujagen und Semenzato zu töten.«
»Das erscheint nicht sehr plausibel, oder?« meinte er.
»Was ist nicht plausibel?«
»Ich habe mit Leuten gesprochen, die ihn kannten und über ihn Bescheid wußten, und wie es aussieht, war er in Geschäfte verwickelt, mit denen ein Museumsdirektor eigentlich
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