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Brunetti 05 - Acqua alta

Brunetti 05 - Acqua alta

Titel: Brunetti 05 - Acqua alta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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und Verkäufe allein Buch zu führen. Gewiß hatte er schon von merkwürdigeren Geschäftsbeziehungen gehört, und er durfte auch nicht vergessen, daß er Semenzato, so wie die Dinge lagen, nur vom Hörensagen kannte, und das ergab selten ein klares Bild. Dennoch, wer würde schon so leichtgläubig sein und dem Wort eines Antiquitätenhändlers vertrauen, einer Spezies, die so aalglatt war, wie man es sich nur vorstellen konnte. Hier mischte sich nun eine Stimme, die stärker war als Brunettis Versuch, sie zu unterdrücken, mit der Frage ein: Und noch dazu einem Neapolitaner? Niemand würde unbesehen glauben, was so einer sagte. Aber wenn das Hauptgeschäft ihrer Partnerschaft gestohlene oder gefälschte Kunstgegenstände waren, spielten die Erträge aus legalen Geschäften keine Rolle. Semenzato hätte in diesem Fall Murinos Belege sowenig anzweifeln müssen wie sein Wort, daß ein armadio oder ein Tisch zu einem bestimmten Preis eingekauft und für soundso viel mehr wieder verkauft worden war. Als er versuchen wollte, in Gewinnen, Verlusten und Preisen zu denken, merkte er, daß ihm hier die Grundlagen fehlten; er hatte keine Ahnung vom Marktwert der Stücke, die laut Brett vermißt wurden. Er wußte ja nicht einmal, was es für Stücke waren. Morgen. Aber vorher wollte er noch mehr über Murino wissen. Vom nächsten Telefon aus rief er Signorina Elettra an und bat sie, sich nach Murinos Finanzen ebenso zu erkundigen, wie er es ihr schon bei La Capra und Semenzato aufgetragen hatte. Und da er fürchtete, die lange Pause am anderen Ende der Leitung könnte bedeuten, daß sie die zusätzliche Arbeit nur ungern übernahm, fügte Brunetti hinzu: »Er ist Neapolitaner.«
    »Aha«, sagte sie darauf nur und legte auf.
    Weil es immer heftiger regnete und acqua alta drohte, waren Gassen und Plätze seltsam menschenleer, obwohl um diese Zeit sonst die Leute von der Arbeit nach Hause eilten oder noch rasch ihre Einkäufe erledigten, bevor die Läden zumachten. Statt dessen konnte Brunetti ungehindert durch die schmalen calli gehen, ohne ständig seinen Regenschirm zur Seite kippen zu müssen, um kleinere Leute darunter durchzulassen. Sogar die breite Rialtobrücke war sonderbar leer, und das hatte er seines Wissens noch nie gesehen. Viele Stände waren verlassen, Obst- und Gemüsekisten schon vor Geschäftsschluß weggeräumt, ihre Besitzer vor der beißenden Kälte und dem trommelnden Regen geflüchtet.
    Er knallte die Haustür hinter sich zu; bei nassem Wetter klemmte sie oft und ließ sich nur mit Gewalt öffnen oder schließen. Er schüttelte seinen Schirm ein paarmal, bevor er ihn zusammenlegte und sich unter den Arm klemmte. Mit der rechten Hand griff er nach dem Geländer und begann den langen Aufstieg zu seiner Wohnung. Im Erdgeschoß hatte Signora Bussola, die fast taube Witwe eines Anwalts, telegiornale eingeschaltet, was bedeutete, daß alle in diesem Geschoß die Nachrichten mit anhören mußten. Klar, daß sie die Nachrichten auf RAI 1 sah; diese radikalen Linken und der sozialistische Abschaum in RAI 2 waren ihre Sache nicht. Von den Rossis im ersten Stock war nichts zu hören, was hieß, daß sie ihren Streit beigelegt hatten und im hinteren Teil der Wohnung waren, im Schlafzimmer. Im zweiten Stock war es ebenfalls still. Vor zwei Jahren war hier ein junges Paar eingezogen und hatte die ganze Etage gekauft, aber Brunetti konnte an einer Hand abzählen, wie oft er den beiden im Treppenhaus begegnet war. Der Mann arbeitete angeblich bei der Stadt, obwohl niemand so recht wußte, was er da genau tat. Die Frau ging morgens aus dem Haus und kam abends um halb sechs zurück, aber keiner konnte sagen, wohin sie ging oder was sie machte, und das allein grenzte für Brunetti schon an ein Wunder. Im dritten Stock herrschten nur Gerüche. Die Amabiles ließen sich selten sehen, aber im Treppenhaus schwebten stets herrliche, verführerische Essensdüfte. Heute abend schien es capriolo zu geben und, wenn er sich nicht irrte, Artischocken, aber es konnten auch gebratene Auberginen sein.
    Und dann kam seine eigene Tür und die Aussicht auf Frieden. Aber nur so lange, wie er brauchte, um aufzuschließen und in die Diele zu treten. Da hörte er von hinten aus der Wohnung Chiara schluchzen. Seine kleine Spartanerin, das Kind, das so gut wie niemals weinte, das Kind, das sich einmal das Handgelenk gebrochen und totenblaß, aber tränenlos zugesehen hatte, wie es verarztet wurde. Und nun weinte Chiara nicht nur, sie

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