Brunetti 05 - Acqua alta
ohne den Blick von dem Foto zu wenden.
»Zuerst braucht man einen erfahrenen Töpfer, der Zeit und Gelegenheit hatte, sich die Fundstücke genau anzusehen, sie in der Hand zu halten, der vielleicht sogar dabei war, als sie gefunden wurden, oder an ihrer Ausstellung mitgewirkt hat. Dadurch hätte er echte Fragmente gesehen und somit eine klare Vorstellung von der Dicke der einzelnen Teile. Dann brauchen Sie einen sehr guten Maler, der einen Stil kopieren und die Stimmung auf einem solchen Gefäß einfangen kann, um das dann alles so genau nachzumachen, daß sie von dem Stück in der Ausstellung nicht mehr zu unterscheiden ist.«
»Wie schwierig wäre das?«
»Sehr schwierig. Aber es gibt Leute, Männer wie Frauen, die dafür ausgebildet sind und es hervorragend machen.«
Brunetti legte den Finger auf eine Stelle über dem Tiermotiv. »Hier, das sieht abgenutzt aus, richtig alt. Wie macht man so etwas nach?«
»Das ist relativ einfach. Das Stück wird in der Erde vergraben; manche Fälscher legen es sogar in Kloakenabwässer.« Als sie Brunettis instinktiven Ekel sah, erklärte sie: »Das greift die Farbe an und trägt sie schneller ab. Dann klopfen sie kleine Stückchen ab, meist vom Rand oder vom Boden.« Sie zeigte auf eine winzige Kerbe am oberen Rand, wo der zylindrische Deckel aufsaß, und eine am Boden.
»Ist es schwierig?« fragte Brunetti.
»Nein, nicht wenn man Laien damit täuschen will. Viel schwerer ist es, etwas herzustellen, was einen Experten täuscht.«
»Wie Sie?« fragte er.
»Ja«, antwortete sie, ohne sich mit falscher Bescheidenheit aufzuhalten.
»Und wie sehen Sie es?« fragte er und ergänzte sogleich: »An welchen Einzelheiten können Sie erkennen, daß es sich um eine Fälschung handelt? Ich meine Dinge, die andere nicht sehen würden.«
Bevor sie antwortete, blätterte sie in dem Buch ein paar Seiten weiter und hielt hier und dort inne, um ein Foto genauer zu betrachten. Schließlich klappte sie den Band zu und sah Brunetti an. »Einmal an der Farbe, ob es der richtige Farbton für die Zeit ist, aus der das Stück angeblich stammt. Dann am Pinselstrich, ob er zögernd aufgetragen ist. Das würde verraten, daß der Maler etwas zu kopieren versucht hat und beim Malen nachdenken mußte, sehen, ob es so richtig war. Die Erschaffer der Originale mußten keinen bestimmten Standard erfüllen; sie haben gemalt, was sie wollten, deshalb ist ihr Strich immer fließend. Wenn es ihnen nicht gefiel, haben sie den Krug wahrscheinlich zerschlagen.«
Brunetti hakte bei dem lässig hingeworfenen Begriff sofort nach. »Krug oder Vase?«
Sie lachte offen über die Frage. »Heute, nach zweitausend Jahren, sind es Vasen, aber ich glaube, für die Leute, die sie hergestellt und benutzt haben, waren es einfach Krüge.«
»Wofür wurden sie benutzt?« fragte Brunetti. »Ursprünglich.«
Sie zuckte die Achseln. »Wofür man Krüge eben benutzt: um Wasser darin zu tragen, Korn aufzubewahren. Der mit dem Tier hat einen Deckel, also sollte wohl der Inhalt geschützt werden, wahrscheinlich vor Mäusen. Das spricht für Reis oder irgendein anderes Getreide.«
»Was sind solche Gefäße wert?« fragte Brunetti.
Sie setzte sich auf dem Sofa zurück und schlug die Beine übereinander. »Ich weiß nicht, wie ich das beantworten soll.«
»Warum nicht?«
»Weil man für Preise einen Markt braucht.«
»Und?«
»Es gibt keinen Markt für diese Stücke.«
»Warum nicht?«
»Weil so wenige davon erhalten sind. Die Vase in dem Buch steht im Metropolitan Museum in New York. Es gibt vielleicht noch drei oder vier in anderen Museen irgendwo auf der Welt.« Sie schloß einen Moment die Augen, und Brunetti sah sie im Geiste Listen und Kataloge durchgehen. Als sie die Augen wieder aufmachte, sagte sie: »Drei fallen mir ein: zwei in Taiwan und eine in einer Privatsammlung.«
»Sonst keine?« fragte er.
Sie schüttelte den Kopf. »Nein.« Doch dann fügte sie hinzu: »Jedenfalls nicht in einem Museum oder sonst in einer bekannten Sammlung.«
»Und in Privatbesitz?«
»Möglich, aber irgendwer von uns hätte wahrscheinlich davon gehört, und in der ganzen Literatur werden keine anderen Stücke erwähnt. Man kann also ziemlich sicher sein, daß es sonst keine gibt.«
»Was wäre denn eines dieser Museumsstücke wert?« fragte er, und als er sah, daß sie den Kopf schütteln wollte, setzte er rasch hinzu: »Ich weiß, ich weiß, nach dem, was Sie gesagt haben, ist es unmöglich, einen genauen Preis zu nennen, aber
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