Brunetti 05 - Acqua alta
nichts zu tun haben sollte.«
»Zum Beispiel?«
»Er war stiller Teilhaber in einem Antiquitätengeschäft. Andere haben mir gesagt, seine Expertenmeinung sei käuflich gewesen.«
»Warum ist das wichtig?«
»Wenn man die Absicht hatte, ihn umzubringen, hätte man das als erstes getan und Ihnen dann eingeschärft, den Mund zu halten, weil es Ihnen sonst genauso ergehen würde. Aber das hat man nicht getan; man war zuerst bei Ihnen. Und wenn das geklappt hätte, dann hätte doch Semenzato nie von den Unterschiebungen erfahren, jedenfalls nicht offiziell.«
»Sie nehmen immer noch an, daß er in der Sache drinsteckte«, sagte Brett. Und als Brunetti nickte, fügte sie hinzu: »Ich halte das für eine gewagte Annahme.«
»Alles andere ergibt keinen Sinn«, erklärte Brunetti. »Woher hätten diese Männer sonst wissen können, daß sie zu Ihnen kommen mußten, oder von Ihrer Verabredung mit Semenzato?«
»Und wenn ich trotzdem mit ihm gesprochen hätte, selbst nachdem sie mich so zugerichtet hatten?« Es verblüffte ihn, daß sie darauf nicht selbst schon gekommen war, und er wollte es ihr jetzt ungern erklären. Er schwieg.
»Nun?« beharrte sie.
»Falls Semenzato an der Sache beteiligt war, ist es doch ziemlich klar, was passiert wäre, wenn Sie mit ihm gesprochen hätten«, sagte Brunetti, der es immer noch nicht so deutlich aussprechen mochte.
»Ich verstehe noch immer nicht.«
»Dann hätte man Sie umgebracht, nicht ihn«, sagte er endlich.
Er sah Schock und Ungläubigkeit in ihren Augen, nach einer kleinen Weile begriff sie dann, und ihr Gesicht wurde starr, sie preßte die Lippen zusammen, bis ihr Mund ein dünner Strich war.
Glücklicherweise wählte Flavia genau diesen Moment für ihren Auftritt, und sie brachte den blumigen Duft von Seife oder Shampoo oder irgend etwas anderem mit, was Frauen benutzen, um immer zur falschen Tageszeit so wunderbar zu riechen. Warum morgens und nicht abends?
Sie trug ein schlichtes braunes Wollkleid mit einem orangefarbenen Schal, den sie ein paarmal um ihre Taille geschlungen und seitlich verknotet hatte, so daß die Enden herunterhingen und bei jedem Schritt mitschwangen. Sie hatte kein Make-up aufgelegt, und als Brunetti sie so sah, fragte er sich, warum sie überhaupt welches benutzte.
»Buon giorno«, sagte sie lächelnd und streckte ihm die Hand hin.
Er stand auf, um sie zu begrüßen. Flavia sah zu Brett und schloß sie in ihre nächste Bemerkung mit ein. »Ich mache Kaffee. Möchte jemand welchen?« Dann mit einem Lächeln: »Ein bißchen früh für Champagner.«
Brunetti nickte, aber Brett schüttelte den Kopf. Flavia drehte sich um und verschwand in der Küche. Ihr Kommen und Gehen hatte sie beide vorübergehend von seiner letzten Bemerkung abgelenkt. Jetzt blieb ihnen nichts übrig, als wieder darauf zurückzukommen.
»Warum hat man ihn umgebracht?« fragte Brett.
»Das weiß ich nicht. Streit mit den anderen Beteiligten? Uneinigkeit darüber, was geschehen sollte, vielleicht was man mit Ihnen machen sollte?«
»Sind Sie denn überzeugt, daß er wegen dieser ganzen Geschichte umgebracht wurde?«
»Ich meine, man sollte von dieser Annahme ausgehen«, antwortete er ruhig, nicht allzusehr überrascht, daß sie sich sträubte, es so zu sehen. Dazu hätte sie sich nämlich die Gefahr eingestehen müssen, in der sie selbst schwebte: Nachdem Matsuko und Semenzato tot waren, wußte Brett als einzige noch von diesem Diebstahl. Semenzatos Mörder konnte nicht wissen, daß sie aus China handfeste Beweise mitgebracht hatte, nicht nur einen Verdacht, mußte also annehmen, daß mit seinem Tod die Fährte ein für allemal endete. Sollte der ganze Betrug irgendwann in der Zukunft auffliegen, wäre nicht zu erwarten, daß die Regierung der Volksrepublik China sich für die mörderische Gier westlicher Kapitalisten interessieren würde; eher würde sie die Diebe wohl im eigenen Land suchen.
»Wer war denn damals in China für die Auswahl der Ausstellungsstücke zuständig?«
»Ein Mann vom Museum in Peking, Xu Lin. Er ist einer ihrer führenden Archäologen und ein sehr guter Kunsthistoriker. «
»Ist er mit der Ausstellung gereist?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, seine politische Vergangenheit ließ das nicht zu.«
»Warum nicht?«
»Sein Großvater war Grundbesitzer, darum befand man ihn für politisch unerwünscht, oder jedenfalls verdächtig.« Sie sah Brunettis erstauntes Gesicht und erklärte: »Ich weiß, daß es irrational klingt.« Und nach einer
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