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Brunetti 05 - Acqua alta

Brunetti 05 - Acqua alta

Titel: Brunetti 05 - Acqua alta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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Passanten dorthin getreten worden waren. Einzementierte Eisengitter vor den vier Fenstern im Erdgeschoß machten jegliches Eindringen unmöglich. Dahinter sah er neue Fensterläden, die fest verschlossen waren. Brunetti trat ein paar Schritte zurück und legte den Kopf in den Nacken, um sich die oberen Stockwerke genauer anzusehen. An allen waren die gleichen dunkelgrünen Läden, diese aber aufgeklappt vor doppelverglasten Fenstern. Die Regenrinnen unter den neuen Terrakottaziegeln auf dem Dach waren aus Kupfer, ebenso die Rohre, die das ablaufende Regenwasser nach unten beförderten. Im zweiten Stock änderte sich das allerdings, von dort bis zum Boden waren die Rohre aus weit weniger verführerischem Zinkblech.
    Das Namensschild neben dem einzigen Klingelknopf war Geschmack pur: nur der Name La Capra in schlichter Kursivschrift. Brunetti klingelte und stellte sich vor die Sprechanlage.
    »Sì, chi è?« fragte eine männliche Stimme.
    »Polizia«, antwortete Brunetti, der beschlossen hatte, keine Zeit mit Heimlichtuerei zu verschwenden.
    »Sì, arrivo«, sagte die Stimme, und Brunetti hörte nur noch ein Klicken. Er wartete.
    Kurze Zeit später wurde die Tür von einem jungen Mann in dunkelblauem Anzug geöffnet. Mit seinem glattrasierten Gesicht und den dunklen Augen hätte er zum Model getaugt, er war höchstens ein bißchen zu schwer gebaut, um sich gut fotografieren zu lassen. »Si?« fragte er, zwar ohne zu lächeln, aber offenbar auch nicht unfreundlicher als ein Durchschnittsbürger, der von der Polizei an die Tür gerufen wurde.
    »Buon giorno«, sagte Brunetti. »Commissario Brunetti; ich möchte gern mit Signor La Capra sprechen.«
    »Worüber?«
    »Über die Kriminalität in dieser Stadt.«
    Der junge Mann blieb stehen, wo er war, einen halben Schritt vor der Tür, und machte keine Anstalten, sie ganz zu öffnen oder Brunetti einzulassen. Er wartete auf eine nähere Erklärung, und als diese offenbar nicht kam, sagte er: »Ich dachte, in Venedig gibt es keine Kriminalität.« Bei diesem längeren Satz hörte man seinen sizilianischen Akzent und seinen feindseligen Ton.
    »Ist Signor La Capra zu Hause?« fragte Brunetti, der des Geplänkels überdrüssig war und die Kälte zu spüren begann.
    »Ja.« Damit trat der junge Mann zurück und hielt die Tür auf. Brunetti fand sich in einem großen Innenhof mit rundem Ziehbrunnen in der Mitte wieder. Auf der linken Seite stützten Marmorsäulen eine Treppe zur ersten Etage des Hauses. Von da aus führte sie, immer dicht an der Außenmauer, in Kehren weiter zur zweiten und dritten Etage. Auf dem Marmorgeländer der Treppe standen in gleichen Abständen steinerne Löwenköpfe. Unter der Treppe sah man die Überbleibsel kürzlich erledigter Arbeiten: eine Schubkarre mit Zementtüten, eine aufgerollte Plastikplane und etliche große Dosen, die außen mit verschiedenen Farben beschmiert waren.
    Am Ende der ersten Treppenflucht öffnete der junge Mann eine Tür und trat beiseite, um Brunetti in den Palazzo zu lassen. Sowie er drinnen war, hörte Brunetti die Musik, die gedämpft aus einem der oberen Stockwerke herunterdrang. Während er dem jungen Mann die Treppe hinauf folgte, wurden die Töne lauter, bis er eine Sopranstimme heraushören konnte. Begleitet wurde sie offenbar von Streichern, aber die Töne waren immer noch gedämpft, kamen wohl aus einem anderen Teil des Hauses. Der junge Mann öffnete eine weitere Tür, und genau in dem Moment schwang sich die Stimme über die Instrumente empor und schwebte fünf Herzschläge lang in vollendeter Schönheit im Raum, bevor sie in die mindere Welt der Instrumente zurückfiel.
    Sie gingen über einen Marmorflur und eine Innentreppe hinauf, und dabei wurde die Musik stetig lauter, die Stimme immer klarer und strahlender. Der junge Mann schien nichts zu hören, obwohl die Welt, in der sie sich bewegten, nur von diesem Klang erfüllt war. Am Ende der zweiten Treppenflucht öffnete der junge Mann wieder eine Tür, blieb stehen und wies Brunetti mit einem Nicken in einen langen Flur. Er konnte lediglich nicken; gehört hätte Brunetti ihn bestimmt nicht.
    Brunetti ging vor ihm her den Flur entlang. Der junge Mann holte ihn ein und öffnete eine Tür zur Rechten; diesmal nickte er, als Brunetti schon an ihm vorbeiging, dann schloß er die Tür hinter ihm, und Brunetti stand wie erschlagen von der Musik.
    Aller anderen Sinne beraubt und nur noch auf seine Augen angewiesen, sah Brunetti in vier Ecken mannshohe, mit Tuch

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