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Brunetti 06 - Sanft entschlafen

Brunetti 06 - Sanft entschlafen

Titel: Brunetti 06 - Sanft entschlafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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Brunettis Mantel.
    Sanfte braune Augen und ein kleines Goldkreuz am linken Revers, mehr bekam Brunetti nicht von ihm zu sehen, bevor der Mann sich umdrehte und ihnen über den Flur voranging. Bilder, lauter Porträts aus verschiedenen Jahrhunderten und in verschiedenen Stilen, hingen an beiden Wänden des Flurs. Obschon Brunetti wußte, daß Porträts immer so waren, fiel ihm hier doch auf, wie unglücklich die meisten Abgebildeten wirkten, unglücklich und noch etwas anderes: rastlos vielleicht, als fänden sie, daß sie ihre Zeit besser damit verbrächten, Wilde zu unterwerfen und Heiden zu bekehren, als für eine eitle irdische Erinnerung zu posieren. Die Frauen schienen zu glauben, dies alles durch das bloße Beispiel eines untadeligen Lebens bewerkstelligen zu können; die Männer schienen eher der Macht des Schwertes zu vertrauen.
    Der Mann blieb vor einer Tür stehen, klopfte einmal und öffnete, ohne eine Antwort abzuwarten. Er hielt die Tür auf und ließ Brunetti und Vianello eintreten, dann schloß er sie leise hinter ihnen.
    Brunetti dachte unwillkürlich an einen Vers von Dante:
    Oscura profonda era e nebulosa
Tanto che, per ficcar lo viso al fondo
Io non vi discerneva alcuna cosa.
    So düster war sie und so tief und neblig,
Daß, ob zum Grund ich heftete die Blicke,
Ich nichts zu unterscheiden drin vermochte.
    Düster war auch dieses Zimmer, so finster, als hätten sie, wie Dante, das Licht der Welt, Sonne und Freude hinter sich gelassen, als sie hier eintraten. Hohe Fenster nahmen die eine Wand ein, alle versteckt hinter Samtvorhängen von einem ganz besonders düsteren Braun, irgendwo zwischen Sepia und getrocknetem Blut. Was dennoch an Licht durch sie hereindrang, machte die Lederrücken Hunderter von ernst aussehenden Büchern sichtbar, die sich an den übrigen Wänden vom Boden bis zur Decke reihten. Es war ein Parkettboden, keine laminierten Holzstäbe, die man als Meterware auslegte, sondern echtes Parkett, jeder Quader genau zurechtgeschnitten und zwischen den anderen festgeklopft.
    In einer Zimmerecke sah Brunetti hinter einem massiven Schreibtisch, der mit Büchern und Papieren übersät war, den wuchtigen Oberkörper einer Frau in Schwarz. Die Strenge ihres Kleides und ihr finsterer Gesichtsausdruck ließen das übrige Zimmer plötzlich geradezu heiter erscheinen.
    »Was wollen Sie?« fragte die Frau. Vianellos Uniform machte die Frage, wer sie seien, offenbar überflüssig.
    Brunetti konnte sich von dort, wo er stand, keine klare Vorstellung vom Alter der Frau machen, aber ihre Stimme - tief, klangvoll und gebieterisch - ließ auf ein reifes, wenn nicht gar fortgeschrittenes Alter schließen. Er machte ein paar Schritte ins Zimmer, bis ihn nur noch wenige Meter von ihrem Schreibtisch trennten. »Contessa?« sagte er.
    »Ich habe gefragt, was Sie wollen«, war ihre einzige Antwort.
    Brunetti lächelte. »Ich will versuchen, so wenig wie möglich von Ihrer Zeit in Anspruch zu nehmen, Contessa. Ich weiß ja, wieviel Sie zu tun haben. Meine Schwiegermutter spricht oft von Ihrer Hingabe an gute Werke und der Unermüdlichkeit, mit der Sie so großzügig die Heilige Mutter Kirche unterstützen.« Er versuchte einen ehrfürchtigen Ton in den letzten Halbsatz zu legen, was ihm nicht leichtfiel.
    »Und wer ist Ihre Schwiegermutter?« erkundigte sie sich in einem Tonfall, als erwartete sie, daß es ihre Nähmamsell sei.
    Brunetti legte sorgfältig an, zielte und traf sie genau zwischen den engstehenden Augen: »Contessa Falier.«
    »Donatella Falier?« fragte sie, ihr Erstaunen mehr schlecht als recht verbergend.
    Brunetti tat, als hätte er davon nichts gemerkt. »Ja. Und wenn ich mich recht erinnere, hat sie erst letzte Woche von Ihrem neuesten Projekt gesprochen.«
    »Sie meinen unseren Feldzug gegen den Verkauf von Verhütungsmitteln in Apotheken?« fragte sie, womit sie Brunetti die Information gab, die er brauchte.
    »Ja«, sagte er lächelnd und nickte, als wäre er vollkommen mit ihr einig.
    Sie erhob sich und kam hinter ihrem Schreibtisch hervor, die Hand ausgestreckt, nun da sein Menschsein bestätigt war durch die Verwandtschaft, und sei sie nur angeheiratet, mit einer der vornehmsten Damen der Stadt. Im Stehen präsentierte sie die vollen Maße ihres Körpers, die bis dahin durch den Schreibtisch verdeckt gewesen waren. Sie war größer als Brunetti und mindestens zwanzig Kilo schwerer. Aber ihre Körpermasse bestand nicht aus dem robusten, festen Muskelfleisch der gesunden Dicken, sondern

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