Brunetti 06 - Sanft entschlafen
gehört«, erläuterte er.
Sie schüttelte den Kopf.
»Jemand, der nicht zum engen Freundeskreis zählt?«
Wieder schüttelte sie so entschieden den Kopf, daß ihre Doppelkinne hin und her schwangen.
»Eine Einrichtung, der er eine Spende zugesagt hat?«
Brunetti sah an dieser Stelle ihre Augen aufleuchten.
»Was verstehen Sie unter Einrichtung?«
»Manche dieser Schwindler bringen ihre Opfer dazu, für etwas Geld zu spenden, was sie ihnen als ehrenwerte wohltätige Einrichtung präsentieren. Wir hatten Fälle, da wurden Leute überredet, Geld für Kinderkrankenhäuser in Rumänien zu spenden, oder für ein angebliches Hospiz der Mutter Teresa.« Brunetti legte alle ihm zu Gebot stehende Empörung in seine Stimme, als er hinzufügte: »Abscheulich. Einfach schockierend.«
Die Contessa sah ihm in die Augen und schloß sich diesem Urteil mit einem Kopfnicken an. »Bei uns gab es nichts dergleichen. Mein Mann hat sein Vermögen seiner Familie hinterlassen, wie es sich gehört. Es gab keine fragwürdigen Vermächtnisse. Niemand hat etwas bekommen, dem es nicht zustand.«
Da Vianello unmittelbar im Blickfeld der Contessa saß, nahm er sich die Freiheit, mit einem energischen Kopfnicken zu bestätigen, daß dies so seine Ordnung hatte.
Überrascht, daß es ihm so leicht gelungen war, diese Informationen von der Contessa zu bekommen, stand Brunetti jetzt auf. »Sie haben mir einen Stein vom Herzen genommen, Contessa. Ich fürchtete schon, der Conte als ein für seine Großzügigkeit bekannter Mann sei womöglich Opfer dieser Leute geworden. Aber nach diesem Gespräch mit Ihnen bin ich froh zu wissen, daß wir seinen Namen aus unseren Ermittlungsakten streichen können.« Er legte noch etwas mehr Herzlichkeit in seine Stimme und fuhr fort: »Als Staatsdiener bin ich ja immer froh, wenn es so ausgeht, aber ich spreche als Privatmann, wenn ich Ihnen versichere, daß ich persönlich sehr erfreut über dieses Ergebnis bin.« Er sah sich zu Vianello um und bedeutete ihm aufzustehen.
Als er sich wieder der Contessa zuwandte, kam diese gerade hinter ihrem Schreibtisch hervor und wälzte ihm ihren gewaltigen Umfang entgegen.
»Können Sie mir dazu Näheres sagen, Dottore?«
»Nein, Contessa, solange ich weiß, daß Ihr Gatte mit diesen Leuten nichts zu tun hatte, kann ich meinem Kollegen sagen...«
»Ihrem Kollegen?« unterbrach sie ihn.
»Ja, einer der anderen commissari leitet die Ermittlungen gegen diesen Schwindlerring. Ich schicke ihm eine Aktennotiz, daß Ihr Gatte davon Gott sei Dank nicht betroffen war, und dann kümmere ich mich wieder um meine eigenen Fälle.«
»Wenn es gar nicht Ihr Fall ist, warum sind Sie dann gekommen?« fragte sie unverblümt.
Brunetti lächelte, bevor er antwortete: »Ich hoffte, es wäre für Sie weniger unangenehm, wenn Ihnen diese Fragen von jemandem gestellt würden, der... ich will sagen, der sich Ihrer Stellung in der Gesellschaft bewußt ist. Ich wollte keine Unruhe über Sie bringen, auch wenn diese, wie ich weiß, nur vorübergehend gewesen wäre.«
Statt ihm für diese Zuvorkommenheit zu danken, nahm die Contessa die ihr zustehende Rücksichtnahme mit einem leichten Nicken zur Kenntnis.
Brunetti streckte die Hand aus, und als sie ihm die ihre gab, beugte er sich wieder darüber, wobei er es sich verkniff, die Hacken zusammenzuschlagen, wie er es einmal in einem sehr schlechten Film bei einem deutschen Schauspieler gesehen hatte. Seitdem wartete er auf eine Gelegenheit, das auch einmal zu tun.
Er ging rückwärts zur Tür, wo Vianello schon stand. Beide Männer verneigten sich leicht, bevor sie hinausgingen. Stefano, sofern das der Name des Mannes mit dem Kreuz am Revers war, erwartete sie - nicht etwa an eine Wand gelehnt, sondern mitten auf dem Flur stehend - mit Brunettis Mantel über dem Arm. Als er sie kommen sah, hielt er Brunetti den Mantel und ließ ihn hineinschlüpfen, dann geleitete er sie schweigend zur Wohnungstür und wartete, bis sie draußen waren.
5
S chweigend gingen die beiden Männer die Treppen hinunter und hinaus auf die Straße, wo der Frühlingsabend schon über die Stadt hereinbrach.
»Nun?« fragte Brunetti, als er seine Liste wieder aus der Tasche zog. Er las die nächste Adresse und schlug die Richtung dorthin ein; Vianello fiel neben ihm in Gleichschritt.
»Das also nennt man eine bedeutende Persönlichkeit in unserer Stadt?« gab Vianello statt einer Antwort zurück.
»Ich glaube, ja.«
»Dann gute Nacht, Venedig«, bekundete Vianello
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