Brunetti 06 - Sanft entschlafen
aus dem wabbligen Fett der ewig Seßhaften. Ihre Kinne hingen, eins unter dem anderen, bis auf das Brustteil ihres Kleides hinunter, das seinerseits kaum mehr war als ein Schlauch aus schwarzer Wolle, der von dem gewaltigen Balkon ihres Busens herabhing. Brunetti glaubte nicht, daß bei der Erschaffung dieses Fleischberges viel Freude oder wenigstens Spaß im Spiel gewesen war.
»Dann sind Sie also Paolas Mann?« fragte sie, während sie auf ihn zukam, wobei ein beißender Geruch nach ungewaschener Haut vor ihr herwehte.
»Ja, Contessa. Guido Brunetti«, sagte er und ergriff die dargebotene Hand, als nähme er einen Splitter des Kreuzes Jesu in Empfang, beugte sich darüber und hob sie bis kurz unter seine Lippen. Als er sich wieder aufrichtete, fügte er hinzu: »Es ist mir eine Ehre, Sie kennenzulernen«, was er tatsächlich so herausbrachte, als meinte er es ernst.
Er drehte sich zu Vianello um. »Und das ist Sergente Vianello, mein Assistent.« Vianello machte eine vollendete Verbeugung und ein Gesicht so ernst wie Brunetti, wobei er aussah, als wäre er von Stummheit geschlagen ob der Ehre, der Contessa vorgestellt zu werden. Sie würdigte ihn kaum eines Blickes.
»Bitte nehmen Sie Platz, Dottor Brunetti«, sagte sie und deutete mit fetter Hand auf einen Stuhl vor ihrem Schreibtisch. Brunetti ging zu dem Stuhl, dann drehte er sich um und winkte Vianello zu einem anderen Stuhl näher bei der Tür, wo er vor dem strahlenden Glanz ihrer Vornehmheit wahrscheinlich sicherer war.
Die Contessa kehrte an ihren Platz hinter dem Schreibtisch zurück und ließ sich langsam auf den Stuhl sinken. Sie schob ein paar Papiere beiseite und sah Brunetti an. »Hatten Sie nicht zu Stefano gesagt, es gebe irgendein Problem mit dem Nachlaß meines Mannes?«
»Nein, Contessa, so etwas Ernstes ist es nicht«, antwortete Brunetti mit einem Lächeln, das ganz locker wirken sollte. Sie nickte und wartete auf seine Erklärung.
Brunetti lächelte noch einmal, dann begann er nach Kräften zu improvisieren: »Wie Ihnen bekannt ist, Contessa, gibt es in diesem Land einen wachsenden Hang zur Kriminalität.«
Sie nickte.
»Es scheint, daß gar nichts mehr heilig ist, niemand mehr sicher vor denen, die alles daransetzen, Geld und Gut ihren rechtmäßigen Besitzern abzupressen oder abzuschwindeln.«
Die Contessa bestätigte dies mit einem betrübten Nicken.
»Die jüngste Erscheinungsform solcher Niedertracht beobachtet man dort, wo Leute sich in das Vertrauen älterer Menschen einschleichen, um sie dann, leider allzuoft mit Erfolg, zu betrügen und zu hintergehen.«
Die Contessa hob eine Hand, die dicken Finger hochgestreckt. »Wollen Sie mich warnen, daß es auch mir so ergehen könnte?«
»Nein, Contessa. Das nicht. Wir wollen nur sichergehen, daß Ihr verstorbener Gatte...« - hier gestattete Brunetti sich ein trauriges Kopfschütteln ob der Tatsache, daß gerade die Tugendsamen doch allzu früh von uns genommen würden - »... daß Ihr verstorbener Gatte nicht ein Opfer solch ruchloser Falschheit geworden ist.«
»Wollen Sie sagen, daß Sie glauben, Egidio sei bestohlen worden? Betrogen? Ich verstehe nicht, wovon Sie reden.« Sie beugte sich so weit vor, daß ihr Busen auf die Schreibtischplatte zu liegen kam.
»Dann lassen Sie es mich unverblümt sagen, Contessa. Wir wollen sichergehen, daß es niemandem gelungen ist, den Conte vor seinem Tod zu überreden, ihn in seinem Testament zu bedenken, daß niemand ungebührlichen Einfluß auf ihn genommen hat, um an einen Teil seines Vermögens zu gelangen und damit zu verhindern, daß es seinen rechtmäßigen Erben zukommt.«
Die Contessa ließ sich das durch den Kopf gehen, sagte aber nichts.
»Wäre es möglich, daß sich so etwas zugetragen hat, Contessa?«
»Was gibt Ihnen Anlaß zu einem solchen Verdacht?« fragte sie.
»Der Name Ihres Gatten, Contessa, fiel mehr oder weniger zufällig im Zuge einer anderen Ermittlung.«
»Ging es dabei um Leute, die um ihr Erbe betrogen wurden?«
»Nein, Contessa, es ging um etwas anderes. Aber bevor wir amtlich tätig werden, wollte ich Sie persönlich aufsuchen — wegen des hohen Ansehens, in dem Sie stehen - und mich, wenn es geht, vergewissern, daß es gar nichts zu ermitteln gibt.«
»Und was brauchen Sie von mir?«
»Ihre Versicherung, daß es im Zusammenhang mit dem Testament Ihres Gatten keine Unannehmlichkeiten gegeben hat.«
»Unannehmlichkeiten?« wiederholte sie.
»Daß jemand bedacht wurde, der nicht zur Familie
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