Brunetti 06 - Sanft entschlafen
seine Ehrfurcht vor dem Adel. »War sie das, die damals das Lösegeld für Lucia gezahlt hat?« Die Frage des Sergente bezog sich auf einen gut zehn Jahre zurückliegenden, berühmt gewordenen Fall, bei dem die Gebeine der heiligen Lucia aus der gleichnamigen Kirche gestohlen worden waren, um damit ein Lösegeld zu erpressen. Den Dieben war eine nie genannte Summe ausgezahlt und die Polizei daraufhin zu einer Wiese auf dem Festland geführt worden, wo man dann irgendwelche Knochen fand, vermutlich die der heiligen Lucia. Die Knochen wurden aufs feierlichste in die Kirche zurückgebracht, und der Fall war abgeschlossen.
Brunetti nickte. »Ich habe munkeln hören, daß sie es war, aber man kann nie wissen.«
»Wahrscheinlich waren es sowieso Schweineknochen«, meinte Vianello, und sein Ton besagte deutlich, daß er dies hoffte.
Da der Sergente also auf eine indirekte Frage offenbar nicht antworten mochte, stellte Brunetti jetzt eine direkte: »Was halten Sie von der Contessa?«
»Sie hat richtig aufgehorcht, als Sie andeuteten, daß etwas an eine Institution geflossen sein könnte. Bei Verwandten und Bekannten schien sie da keine Bedenken zu haben.« »Stimmt«, sagte Brunetti. »Die rumänischen Krankenhäuser.«
Vianello drehte sich um und sah Brunetti lange an. »Wo kamen denn alle diese Leute her, die sich Geld für Mutter Teresa haben abschwindeln lassen?«
Brunetti grinste achselzuckend. »Ich mußte ihr irgendwas erzählen. Es erfüllte seinen Zweck so gut wie alles andere.«
»Spielt ja sowieso keine Rolle«, meinte Vianello.
»Was spielt keine Rolle?«
»Ob Mutter Teresa das Geld bekommt oder irgendein Gauner.«
»Wie meinen Sie das?« fragte Brunetti verwundert.
»Es erfährt doch nie ein Mensch, wo das Geld geblieben ist, oder? Sie hat alle diese Preise bekommen, und irgendwer sammelt immer für sie Geld, aber man sieht nie etwas davon.«
Dies war eine Stufe des Zynismus, die selbst Brunetti noch nie erklommen hatte, weshalb er sagte: »Nun, immerhin haben die Leute, die sie aufnimmt, einen anständigen Tod.«
Vianellos Antwort kam prompt: »Wenn Sie mich fragen, wäre denen eine anständige Mahlzeit wahrscheinlich lieber.« Dann mit einem bedeutungsvollen Blick auf die Uhr und ohne seine Zweifel am Sinn ihres zeitaufwendigen Tuns auch nur im geringsten zu verhehlen: »Oder ein Schluck zu trinken.«
Brunetti verstand den Wink. Von den beiden Leuten, mit denen sie bisher gesprochen hatten, mochten sie auch noch so widerlich sein, hatte keiner den Eindruck irgendeiner Schuldverstrickung gemacht. »Noch eine«, sagte er, froh, daß es mehr nach einem Vorschlag als nach einem Befehl klang.
Vianello nickte müde; sein Achselzucken brachte zum Ausdruck, wie langweilig und immer wieder gleich doch ein Großteil ihrer Arbeit war. »Und danach un'ombra«, sagte er. Es war weder ein Vorschlag noch ein Befehl.
Brunetti nickte, denn der immer gleiche Verlauf ihrer Gespräche langweilte auch ihn bis zur Lähmung. Er las noch einmal die Adresse und bog in die calle zu ihrer Rechten ein. Dort fanden sie sich auf einem Hof wieder und blieben an der ersten Tür stehen, um nach etwas Hausnummerähnlichem zu suchen.
»Welche Nummer suchen wir eigentlich, Commissario?«
»Fünfhundertneunundvierzig«, las Brunetti von seinem Zettel ab.
»Das müßte gegenüber sein«, meinte Vianello. Er legte Brunetti eine Hand auf den Arm und zeigte zur anderen Hofseite.
Als sie den Hof überquerten, sahen sie, daß schon Narzissen und Osterglocken aus der dunklen Erde um den abgedeckten Brunnen in der Mitte lugten; die kleineren hatten ihre Blüten bereits gegen die nächtliche Kühle geschlossen.
Drüben fanden sie die gesuchte Nummer, und Brunetti klingelte.
Kurz darauf fragte eine Stimme durch die Sprechanlage, wer da sei.
»Ich komme wegen Signor Lerini«, antwortete Brunetti.
»Signor Lerini ist nicht mehr von dieser Welt«, antwortete die Stimme.
»Ich weiß, Signora. Ich habe ein paar Fragen zu seinem Vermächtnis.«
»Sein Vermächtnis ist im Himmel«, entgegnete die Stimme. Brunetti und Vianello wechselten einen Blick.
»Ich möchte nur über sein irdisches Vermächtnis sprechen, das er ja wohl hiergelassen hat«, sagte Brunetti, der seine Ungeduld erst gar nicht mehr zu verbergen suchte.
»Wer sind Sie?« bellte die Stimme.
»Polizei«, antwortete er ebenso knapp.
Es klickte, als die Frau energisch den Hörer auflegte. Dann passierte ziemlich lange nichts, aber schließlich sprang die Tür auf.
Wieder
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