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Brunetti 06 - Sanft entschlafen

Brunetti 06 - Sanft entschlafen

Titel: Brunetti 06 - Sanft entschlafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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froh er über dieses knappe Entrinnen aus der Katastrophe war. Er stützte den Ellbogen auf seine Armlehne, legte das Kinn in die Hand und machte sich bereit, Signor da Prés Triumphgeschichte zu hören.
    Der kleine Mann rutschte auf seinem Stuhl so weit nach hinten, daß seine Beine fast ganz auf der Sitzfläche lagen. »Sie hatte schon immer eine Schwäche für die Religion«, begann er. »Unsere Eltern haben sie auf Klosterschulen geschickt. Ich glaube, das ist der Grund, warum sie nie geheiratet hat.« Brunetti blickte rasch auf da Prés Hände, die seine Armlehnen umklammert hielten, aber da war von einem Ehering nichts zu sehen.
    »Wir haben uns nie vertragen«, sagte da Pré schlicht. »Ihr Interesse galt der Religion, meines der Kunst.« Womit er nach Brunettis Vermutung emaillierte Schnupftabakdosen meinte.
    »Als unsere Eltern starben, haben sie uns diese Wohnung gemeinsam hinterlassen. Aber wir konnten nicht zusammenwohnen.« Hier nickte Vianello, um zu bestätigen, wie schwer es sei, mit einer Frau zusammenzuleben. »Ich habe ihr also meinen Anteil verkauft. Vor dreiundzwanzig Jahren. Und mir eine kleinere Wohnung gekauft. Ich brauchte das Geld, um meine Sammlung zu ergänzen.« Wieder nickte Vianello, diesmal aus Verständnis für die unerbittlichen Ansprüche der Kunst.
    »Dann ist sie vor fünf Jahren gestürzt und hat sich das Hüftgelenk gebrochen, und das wollte nicht mehr recht zusammenheilen, so daß nichts anderes übrigblieb, als sie in der casa di cura, unterzubringen.« Er hielt inne, ein alter Mann, tief in Gedanken über die Umstände, die das Pflegeheim unausweichlich machten. »Sie hat mich gebeten, hier einzuziehen und ein Auge auf ihre Sachen zu haben«, fuhr er fort, »aber ich habe abgelehnt. Ich wußte ja nicht, ob sie zurückkommen würde, und dann hätte ich wieder ausziehen müssen. Und ich wollte nicht erst meine ganze Sammlung hierherbringen - ohne sie möchte ich überhaupt nirgendwo leben -, nur um sie wieder woandershin zu schaffen, wenn meine Schwester wieder gesund würde. Zu riskant, da könnte allzuleicht etwas kaputtgehen.« Da Prés Hände umkrallten in unbewußtem Entsetzen ob dieser Möglichkeit die Armlehnen noch fester.
    Brunetti merkte, wie auch er mit dem Fortgang der Geschichte immer öfter zustimmend nickte, so sehr ließ er sich hineinziehen in diese Irrenwelt, in der ein zerbrochener Deckel tragischer war als eine gebrochene Hüfte.
    »In ihrem Testament hat sie mich dann als Erben eingesetzt, mir die Wohnung hinterlassen, so daß ich meine Sammlung hierherbringen konnte. Das steht auch nicht in Frage. Aber dann wollte sie den Nonnen hundert Millionen Lire vermachen. Das hat sie, als sie dort war, zusätzlich in ihr Testament geschrieben.«
    »Was haben Sie unternommen?« fragte Vianello.
    »Ich bin damit zu meinem Anwalt gegangen«, antwortete da Pré ohne Zögern. »Er hat mich eine Erklärung unterschreiben lassen, daß sie in den letzten Monaten ihres Lebens nicht mehr ganz richtig im Kopf war - in der Zeit hat sie nämlich dieses Ding unterschrieben, Kodizill oder wie man das nennt. Die Sache hegt jetzt schon seit Monaten vor Gericht, aber mein Anwalt sagt, es wird bald ein Urteil geben. Dann können sie dagegen noch Widerspruch einlegen.« Da Pré verstummte wieder, ganz mit der Frage beschäftigt, wie es mit dem Verstand der Alten doch bergab gehen konnte.
    »Und?« ermunterte Vianello ihn.
    »Er sagt, die haben keine Chance, irgend etwas zu bekommen«, verkündete der kleine Mann mit großem Stolz. »Die Richter werden auf mich hören. Es war Irrsinn auf selten Augustas.«
    »Und Sie werden alles andere erben?« fragte Brunetti.
    »Natürlich«, antwortete da Pré knapp. »Ich bin der nächste Angehörige.«
    »War sie denn wirklich verrückt?« fragte Vianello.
    Da Pré warf dem Sergente einen kurzen Blick zu und antwortete prompt: »Ach was. Sie war so klar im Kopf wie eh und je, bis zum letzten Mal, als ich sie gesehen habe, und das war einen Tag vor ihrem Tod. Aber ihr Vermächtnis war verrückt.«
    Brunetti war sich nicht sicher, ob er den Unterschied verstand, aber statt eine Klarstellung zu suchen, fragte er: »Hatten Sie den Eindruck, daß die Leute im Pflegeheim von dem Vermächtnis wußten?«
    »Wie meinen Sie das?« fragte da Pré mißtrauisch.
    »Ist man nach ihrem Tod von dort an Sie herangetreten, bevor das Testament eröffnet wurde?«
    »Einer, ein Priester, hat mich vor der Beerdigung angerufen und wollte in der Messe eine Predigt

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