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Brunetti 06 - Sanft entschlafen

Brunetti 06 - Sanft entschlafen

Titel: Brunetti 06 - Sanft entschlafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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Beileid aussprechen, Signorina«, begann Brunetti, sowie sie alle saßen. »Ihr Vater war ein wohlbekannter Mann, zweifellos eine Zierde für die Stadt, und sein Hinscheiden muß für Sie schwer zu tragen sein.« Brunetti wußte nichts über den Mann, aber seine Pose auf dem Foto sprach von Macht, und die Wohnung sprach von Reichtum.
    Die Frau kniff die Lippen zusammen und neigte den Kopf. »Wir müssen den Willen des Herrn freudig annehmen«, sagte sie.
    Brunetti hörte neben sich Vianello ein gerade noch vernehmbares »Amen« flüstern, versagte es sich aber, einen Blick zu seinem Sergente zu werfen. Signorina Lerini jedoch blickte zu Vianello und sah einen Gesichtsausdruck, der dem ihren an Ernst und Frömmigkeit nicht nachstand. Ihre Miene entspannte sich daraufhin sichtlich, und ihr Rückgrat verlor etwas von seiner Starre.
    »Signorina, ich möchte Sie nicht in Ihrem Leid stören, das sicherlich groß ist, aber es gibt einige Fragen zum Tod Ihres Vaters, die ich Ihnen jetzt gern stellen möchte.«
    Alle Frömmigkeit schwand aus ihrem Gesicht, wie ausgelöscht vom Schock. »Zu seinem Tod?« wiederholte sie.
    »Ja.«
    »Das war doch sein Herz. So haben die Ärzte es mir gesagt.«
    »Ja, das Herz.« Brunetti wartete ein paar Sekunden, dann fragte er: »Und sein Vermächtnis?«
    »Wie ich schon sagte«, erklärte sie, auf einmal ganz ruhig, »sein Vermächtnis ist beim Herrn.«
    Diesmal hörte Brunetti neben sich ein gehauchtes »Si, si« und sorgte sich, ob Vianello jetzt nicht doch ein bißchen übertrieb. Doch Signorina Lerini sah den Sergente an und nickte, zweifellos davon angetan, daß sich im Zimmer noch ein zweiter Christ befand.
    »Es ist bedauerlich, Signorina, daß wir, die wir zurückbleiben, uns nach wie vor mit den irdischen Dingen befassen müssen«, sagte Brunetti.
    Bei diesen Worten warf Signorina Lerini einen Blick auf das Foto ihres Vaters, aber der konnte ihr offenbar auch nicht helfen. »Und womit befassen Sie sich?« fragte sie.
    »Im Zuge anderer Ermittlungen«, wiederholte Brunetti seine Lügengeschichte, »sind wir darauf gestoßen, daß manche Bürger dieser Stadt auf Schwindler hereingefallen sind, die unter dem Deckmantel der Nächstenliebe an sie herantraten. Das heißt, die Leute geben sich als Vertreter verschiedener wohltätiger Organisationen aus und holen auf diese Weise Geld, oft viel Geld, aus ihren Opfern heraus.« Er wartete, um Signorina Lerini Zeit zu geben, eine gewisse Neugier auf das Gesagte an den Tag zu legen, aber er wartete vergebens und fuhr schließlich fort: »Wir haben Grund zu der Annahme, daß es einer dieser Personen gelungen ist, sich das Vertrauen einiger Patienten der casa di cura zu erschleichen, in der auch Ihr Vater war.«
    Jetzt sah Signorina Lerini mit vor Neugier geweiteten Augen zu ihm auf.
    »Können Sie mir sagen, Signorina, ob diese Leute je an Ihren Vater herangetreten sind?«
    »Woher soll ich so etwas wissen?«
    »Es könnte doch sein, daß Ihr Vater davon gesprochen hat, sein Testament zu ändern, vielleicht eine Zuwendung an eine wohltätige Organisation, von der Sie ihn vorher noch nie haben reden hören.« Sie sagte nichts darauf. »Stand etwas von solchen Zuwendungen im Testament Ihres Vaters, Signorina?« »Was meinen Sie damit genau?« fragte sie.
    Brunetti glaubte eine recht einfache Frage gestellt zu haben, dennoch erläuterte er: »Vielleicht eine Zuwendung an ein Krankenhaus, ein Waisenhaus?« Sie schüttelte den Kopf.
    »Aber er wird doch gewiß einer angesehenen kirchlichen Organisation etwas vermacht haben«, meinte Brunetti.
    Sie schüttelte wieder den Kopf, wartete aber mit keiner Erklärung auf.
    Plötzlich mischte Vianello sich ein. »Wenn ich Sie einmal unterbrechen dürfte, Commissario, ich würde doch meinen, daß ein Mann wie Signor Lerini gewiß nicht bis zu seinem Tod damit gewartet hat, die Früchte seiner Arbeit mit der Heiligen Mutter Kirche zu teilen.« Nach diesem Einwurf neigte Vianello seinen Oberkörper zu Signor Lerinis Tochter hinüber, die ihm für diesen Tribut an die Großherzigkeit ihres Vaters mit einem huldvollen Lächeln dankte.
    »Ich finde«, sprach Vianello, durch ihr Lächeln ermutigt, weiter, »daß wir unsere Verpflichtungen gegenüber der Kirche ein Leben lang mit uns tragen, nicht nur in der Todesstunde.« Und nachdem er dieses angebracht hatte, hüllte der Sergente sich wieder in respektvolles Schweigen.
    »Das Leben meines Vaters«, begann Signorina Lerini, »war ein leuchtendes Beispiel

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