Brunetti 06 - Sanft entschlafen
bedeutet, daß Ihr Vater nicht zu denen gehört, die von diesen verabscheuungswürdigen Menschen übertölpelt wurden.« Er lächelte noch einmal und wandte sich zur Tür, so dicht gefolgt von Vianello, daß er es richtig fühlte.
Signorina Lerini erhob sich und begleitete sie zur Wohnungstür. »Nicht daß es auf dies alles ankäme«, sagte sie mit einer Handbewegung, die das Zimmer mit allem umfing, was sich darin befand. Vielleicht hoffte sie ja, mit dieser Geste alle vorhergegangenen Fragen abzutun.
»Nicht wenn es um unser ewiges Heil geht, Signorina«, sagte Vianello, und Brunetti war froh, daß er mit dem Rücken zu beiden stand, denn er wußte nicht, ob er seinen Schrecken und Abscheu über Vianellos Worte sonst schnell genug hätte verbergen können.
An der Wohnungstür verabschiedete er sich von Signorina Lerini, und zusammen gingen er und Vianello wieder in den Hof hinunter.
6
D raußen drehte Brunetti sich um und sagte: »Darf ich mir die Kühnheit nehmen und fragen, woher dieser plötzliche Ausbruch von Frömmigkeit kam, Sergente?« Er bedachte Vianello mit einem ungehaltenen Blick; der aber antwortete nur mit einem Grinsen. »Nun?« bohrte Brunetti.
»Ich habe nicht mehr soviel Geduld wie früher, Commissario. Und die Frau ist so weit hinüber, daß ich dachte, die merkt gar nicht, was ich da tue.«
»Das hat ja vermutlich geklappt«, sagte Brunetti. »Ein köstlicher Auftritt. ›Wenn es um unser ewiges Heil geht‹«, wiederholte er, ohne seinen Widerwillen zu verbergen. »Ich hoffe, sie hat Ihnen das abgenommen, denn mir kamen Sie dabei so falsch wie eine Schlange vor.«
»Oh, und ob sie es mir abgenommen hat, Commissario«, sagte Vianello, während sie den Hof verließen und in Richtung Accademiabrücke zurückgingen.
»Wieso sind Sie so sicher?« fragte Brunetti.
»Weil Heuchler nie auf die Idee kommen, daß andere Leute genauso falsch sein könnten wie sie.«
»Sind Sie überzeugt, daß sie eine Heuchlerin ist?«
»Haben Sie ihr Gesicht gesehen, als Sie davon sprachen, daß ihr Vater, ihr vergötterter Vater, etwas von der Knete verschenkt haben könnte?«
Brunetti nickte.
»Und?« fragte Vianello.
»Und was?«
»Ich denke, das zeigt doch zur Genüge, worum es bei dem ganzen Gefasel über Religion in Wirklichkeit geht.«
»Und was wäre das in Ihren Augen, Sergente?«
»Daß es sie zu etwas Besonderem macht, aus der Masse hervorhebt. Sie ist nicht schön, nicht einmal hübsch, und von Klugheit merkt man auch nichts. Also kann sie sich von anderen Menschen nur dadurch abheben, wie wir es ja wohl alle wollen, daß sie die Fromme spielt. Dann sagen alle, die ihr begegnen: ›Ach, was für eine beeindruckende, ernsthafte Frau.‹ Und sie braucht dafür überhaupt nichts zu tun, nichts zu lernen, nicht einmal an irgend etwas zu arbeiten. Oder wenigstens interessant zu sein. Sie braucht nur diese frommen Sprüche abzulassen, und alle rufen begeistert, wie gut sie ist.«
Brunetti war davon nicht überzeugt, aber er behielt seine Meinung für sich. Sicher, Signorina Lerinis Frömmigkeit hatte etwas Übertriebenes und Unstimmiges an sich, aber Brunetti glaubte nicht, daß dies Heuchelei war, davon hatte er im Laufe seines Berufslebens genug mitbekommen. Ihr Gerede von Religion und Gottes Willen klang für ihn ganz einfach nach Fanatismus. In seinen Augen fehlten ihr die Intelligenz und die Egozentrik, die man bei echten Heuchlern gewöhnlich antraf.
»Das hört sich an, als würden Sie sich mit dieser Art von Frömmigkeit gut auskennen, Vianello«, sagte Brunetti, während er auf eine Bar zusteuerte. Nachdem sie sich so lange mit frommem Getue hatten abgeben müssen, brauchte er etwas zu trinken. Vianello schien es nicht anders zu gehen, denn er bestellte ihnen zwei Glas Weißwein.
»Meine Schwester«, erklärte Vianello. »Allerdings ist sie da inzwischen herausgewachsen.«
»Was war denn mit ihr?«
»Angefangen hatte es ungefähr zwei Jahre vor ihrer Heirat.« Vianello trank einen Schluck, stellte sein Glas ab und knabberte an einem Cracker, den er sich aus einer Schale auf dem Tresen geangelt hatte. »Zum Glück war es mit der Heirat dann auch wieder vorbei.« Noch ein Schluck. Ein Lächeln. »Für Jesus war wohl kein Platz im Bett.« Ein größerer Schluck. »Es war schlimm. Wir mußten uns das monatelang anhören, dieses ewige Geleier über Beten und gute Werke und wie sehr sie die Heilige Jungfrau liebte. Es ging so weit, daß sogar meine Mutter - die eine echte Heilige ist -
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