Brunetti 06 - Sanft entschlafen
aber zugeben: »Alles vermutlich.« »Das dachte ich mir doch«, entgegnete sie. »Also?«
»Signorina Benedetta Lerini«, sagte er.
»Die drüben in Dorsoduro wohnt?« fragte die Contessa.
»Ja.«
Die Contessa dachte kurz nach, dann sagte sie: »Ich weiß über sie nur, daß sie sehr großzügig gegenüber der Kirche ist, oder sein soll. Ein Großteil des Geldes, das sie von ihrem Vater geerbt hat - ein gräßlicher Mensch übrigens, bösartig -, ist an die Kirche geflossen.«
»An welche Kirche?«
Die Contessa überlegte. »Ist das nicht merkwürdig?« meinte sie dann mit einer Mischung aus Erstaunen und Neugier. »Ich habe keine Ahnung. Ich habe lediglich gehört, daß sie sehr fromm sein soll und der Kirche viel Geld gibt. Aber das könnten meines Wissens die Waldenser oder Anglikaner oder sogar diese schrecklichen Amerikaner sein, die einen auf der Straße ansprechen, du weißt schon, die mit den vielen Frauen, die sie aber kein Coca-Cola trinken lassen.«
Brunetti wußte nicht, inwieweit das sein Wissen über Signorina Lerini erweiterte, also versuchte er es mit einem anderen Namen. »Und Contessa Crivoni?«
»Claudia?« rief die Contessa, wobei sie weder ihre erste Reaktion, nämlich Überraschung, noch die zweite zu verbergen suchte: reinstes Vergnügen.
»Wenn das ihr Vorname ist. Sie ist die Witwe des Conte Egidio.«
»Ach, das ist ja köstlich, wirklich köstlich«, meinte die Contessa mit einem Lachen, das wie eine Flöte klang. »Wenn ich das doch nur den Damen beim Bridge erzählen könnte!« Als sie Brunettis entsetztes Gesicht sah, beeilte sie sich jedoch zu versichern: »Nein, keine Sorge, Guido. Ich werde kein Sterbenswörtchen weitersagen. Nicht einmal zu Orazio. Paola hat schon oft erwähnt, daß sie mir nie etwas weitererzählen darf, was du ihr sagst.«
»So?«
»Ja.«
»Aber erzählt sie dir denn etwas weiter?« fragte Brunetti, ohne zu überlegen.
Die Contessa legte ihm lächelnd ihre beringte Hand auf den Arm. »Sag mal, Guido, du bist doch loyal gegenüber deinem Diensteid, nicht?«
Er nickte.
»Siehst du, und genauso bin ich loyal gegenüber meiner Tochter.« Sie lächelte noch einmal. »Und jetzt sag mir, was du über Claudia wissen möchtest.«
»Ich möchte etwas über ihren Mann wissen, wie sie mit ihm auskam.«
»Ich fürchte, mit Egidio kam niemand aus«, antwortete die Contessa ohne Zögern, um nachdenklich hinzuzufügen:
»Aber das gilt wahrscheinlich genauso für Claudia.« Sie überlegte einen Moment, als ob ihr das gerade erst, als sie es aussprach, klargeworden wäre. »Was weißt du denn über ihn, Guido?«
»Nicht mehr als das, was man in der Stadt so redet.«
»Und das wäre?«
»Daß er sein Vermögen in den sechziger Jahren mit illegal gebauten Häusern in Mestre gemacht hat.«
»Und über Claudia?«
»Daß sie sich sehr für die öffentliche Moral einsetzt«, antwortete Brunetti freundlich.
Die Contessa lächelte. »O ja, das kann man sagen.« Als sie dem nichts weiter hinzufügte, fragte Brunetti: »Was weißt du denn über sie, oder woher kennst du sie?«
»Über die Kirche San Simone Piccolo. Sie sitzt in dem Komitee, das Geld für die Restaurierung sammelt.«
»Bist du da auch drin?«
»Gütiger Himmel, nein. Sie hat mich dazu aufgefordert, aber ich weiß doch, daß die ganze Restaurierung nur vorgeschoben ist.«
»Wofür?«
»San Simone Piccolo ist die einzige Kirche in der Stadt, in der die Messe noch auf lateinisch gelesen wird. Wußtest du das?«
»Nein.«
»Ich glaube, die hatten irgendwie mit diesem französischen Kardinal zu tun - Lefebvre - der Latein und Weihrauch wiedereinführen wollte. Darum nehme ich an, daß alles Geld, das sie sammeln, nach Frankreich geschickt oder für Weihrauch ausgegeben wird, nicht für die Restaurierung der Kirche.« Sie grübelte darüber eine Weile nach, bevor sie fortfuhr: »Die Kirche ist ohnehin so häßlich, daß man sie nicht restaurieren sollte. Eine schlechte Imitation des Pantheons.«
Mochte Brunetti diesen Abstecher in die Architektur auch noch so interessant finden, er holte die Contessa doch zurück. »Aber was weißt du über sie?«
Die Contessa richtete den Blick von ihm auf die Vierblattfenster, die einen ungehinderten Blick auf die Palazzi am anderen Ufer des Canal Grande erlaubten. »Welcher Gebrauch wird davon gemacht, Guido? Kannst du mir das sagen?«
»Kannst du mir sagen, warum du das wissen möchtest?« fragte er zurück.
»Weil ich nicht will, daß Claudia, auch wenn sie
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