Brunetti 06 - Sanft entschlafen
auch wenn ihm klar war, daß dies zu einem nicht geringen Teil daher kam, daß er sie allzuoft schon durch den herrlichen Jux der Zauberflöte verniedlicht gesehen hatte.
Aber Opera Pia war etwas völlig anderes. Er wußte noch weniger darüber - so gut wie nichts -, doch schon der Name jagte ihm einen kalten Schauer über den Rücken.
Er versuchte sich von dummen Vorurteilen freizumachen und sich alles ins Gedächtnis zu rufen, was er je unmittelbar über Opera Pia gehört oder gelesen hatte, irgend etwas Handfestes und Nachprüfbares, aber ihm fiel nichts ein. Unwillkürlich mußte er an »die Zigeuner« denken, denn er »kannte« die Zigeuner etwa ebenso, wie er Opera Pia »kannte«; nur vom Hörensagen, von Weitererzähltem, aber nie war ihm ein Name, ein Datum oder eine Tatsache bekanntgeworden. Alles zusammen erzeugte jene Aura des Geheimnisvollen, die wohl von jeder geschlossenen Gesellschaft für die ausgeht, die nicht dazugehören.
Er überlegte, ob er jemanden kannte, der ihm Näheres sagen könnte, aber außer Signorina Elettras anonymem Freund im Amt des Patriarchen fiel ihm niemand ein. Wenn die Kirche eine Natter an ihrem Busen nährte, dann mußte man die Information in diesem Busen suchen.
Sie blickte auf, als er hereinkam, erstaunt, ihn schon wieder zu sehen. »Ja, Commissario?«
»Ich möchte Ihren Freund um noch einen Gefallen bitten.«
»Der wäre?« fragte sie, schon mit der Hand auf ihrem Notizblock.
»Opera Pia.«
Ihre Überraschung verriet sich für Brunetti nur durch die minimal geweiteten Augen. »Was möchten Sie darüber wissen, Commissario?«
»Wie diese Leute in die Vorfälle hier verwickelt sein könnten.«
»Sie meinen, in die Sache mit den Testamenten und der Frau im Krankenhaus?«
»Ja.« Und fast wie im nachhinein fügte Brunetti hinzu: »Könnten Sie ihn wohl auch noch bitten, festzustellen, ob irgendeine Verbindung zu Padre Cavaletti besteht?« Nachdem sie das notiert hatte, fragte er: »Wissen Sie etwas über die Organisation, Signorina?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nicht mehr als jeder andere. Sie ist geheim, sie spaßt nicht, und sie ist gefährlich.«
»Finden Sie das nicht ein bißchen übertrieben?«
»Nein.«
»Wissen Sie, ob sie hier in der Stadt ein...« - Brunetti kannte die richtige Bezeichnung nicht - »... eine Sektion hat?«
»Keine Ahnung, Commissario.«
»Merkwürdig, nicht?« meinte Brunetti. »Keiner weiß etwas Genaues über sie, aber das hindert uns nicht daran, sie mit Mißtrauen zu betrachten und Angst vor ihr zu haben.« Als sie nicht antwortete, bohrte er nach: »Finden Sie das nicht merkwürdig?«
»Ich sehe das anders, Commissario«, sagte Signorina Elettra.
»Inwiefern?«
»Ich denke mir, wenn wir über sie Bescheid wüßten, hätten wir noch größere Angst.«
16
U nter den Papieren auf seinem Schreibtisch fand er Dottor Fabio Messinis Privatnummer, wählte sie und verlangte den Arzt zu sprechen. Die Frau am anderen Ende erklärte, der Dottore sei zu beschäftigt, um ans Telefon zu kommen, und fragte, wer ihn sprechen wolle. Brunetti sagte nur: »Polizia«, worauf sie hörbar widerwillig antwortete, sie werde den Dottore fragen, ob er vielleicht doch einen Augenblick Zeit habe.
Viele Augenblicke vergingen, bevor die Stimme eines Mannes sagte: »Ja?«
»Dottor Messini?«
»Am Apparat. Wer ist da?«
»Commissario Brunetti.« Brunetti wartete, bis sein Dienstgrad auf der anderen Seite angekommen war, dann sagte er: »Wir möchten Ihnen gern ein paar Fragen stellen, Dottore.«
»Worum geht es, Commissario?«
»Um Ihre Pflegeheime.«
»Was ist damit?« fragte Messini eher ungeduldig als neugierig.
»Es geht um einige Leute, die darin arbeiten.«
»Über das Personal weiß ich gar nichts«, erwiderte Messini obenhin, womit er augenblicklich Brunettis Argwohn auf den Einwanderungsstatus der philippinischen Krankenschwestern in dem Heim lenkte, in dem seine Mutter war.
»Ich würde das lieber nicht am Telefon besprechen«, sagte Brunetti, der wußte, daß ein bißchen Geheimniskrämerei oft schon genügte, um sowohl den Einsatz zu erhöhen als auch die Neugier des jeweiligen Gesprächspartners zu wecken.
»Also, Sie werden kaum erwarten, daß ich in die Questura komme, oder?« fragte Messini, in dessen Stimme der Sarkasmus der Mächtigen unüberhörbar war.
»Außer Sie möchten vermeiden, daß Ihre Patienten durch eine Razzia der Guardia di Frontiera aufgeregt werden, wenn sie kommt, um Ihre philippinischen Krankenschwestern
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