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Brunetti 06 - Sanft entschlafen

Brunetti 06 - Sanft entschlafen

Titel: Brunetti 06 - Sanft entschlafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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Vice-Questore?«
    »Ich weiß nichts. Er sitzt in seinem Zimmer, seit er hier ist. Gekommen ist er erst um zehn, und ich glaube nicht, daß er vorher schon davon gehört hat.«
    »Danke«, sagte Brunetti, und Vianello ging.
    Allein in seinem Zimmer, nahm Brunetti ein Fläschchen Schmerztabletten aus seinem Regenmantel und ging zur Herrentoilette am Ende des Korridors, um sich ein Glas Wasser zu holen. Er schluckte zwei Pillen, dann noch eine dritte und steckte das Fläschchen wieder in die Manteltasche. Er hatte die Nacht davor so gut wie nicht geschlafen, und das bekam er jetzt zu spüren, wie er es immer spürte, nämlich in den Augen, die juckten und brannten. Er setzte sich auf seinen Stuhl, lehnte sich zurück und verzog das Gesicht vor Schmerzen, als er mit dem Arm an die Lehne stieß.
    Signorina Lerini hatte gesagt, »beide« Männer wären Sünder gewesen. Hatte da Pré sie bei einem seiner monatlichen Besuche bei seiner Schwester aus dem Zimmer ihres Vaters kommen sehen, an dessen Todestag? Und hatten Brunettis Besuch bei ihm und die Fragen, die er ihm gestellt hatte, ihn zum Nachdenken darüber gebracht? Wenn ja, dann hatte der kleine Mann bei seinem Erpressungsversuch nicht die Wahnvorstellung von ihrer göttlichen Sendung bedacht, die sie erfüllte und beseelte, und damit hatte er sich selbst das Grab geschaufelt. Er hatte Gottes Plan bedroht und so sein eigenes Todesurteil gesprochen.
    Brunetti ging im Geiste noch einmal sein Gespräch mit Signorina Lerini durch. Er hatte es, als er so vor ihr stand und den Irrsinn in ihrem Blick sah, nicht gewagt, den Priester beim Namen zu nennen, und somit hatte er nur ihre Beteuerung, daß »nostro signore« ihr gesagt habe, was sie tun solle. Sogar als sie ihm die Morde an ihrem Vater und da Pré erklärt hatte, waren ihre Worte so durchsetzt gewesen von den Fieberphantasien ihres Religionswahns, daß die beiden Zeugen dieses Geständnisses - denn anders konnte man es kaum nennen - überhaupt nicht wußten, was sie da gehört hatten. Zwar war ihr tätlicher Angriff auf ihn zweifellos eine Straftat gewesen, aber es bestand wohl wenig Aussicht, von einem Richter einen Haftbefehl zu bekommen. Und wenn er an diesen irren Blick und die heilige Empörung dachte, mit der sie gesprochen hatte, fragte er sich erst recht, ob irgendein Richter bereit wäre, ein Verfahren gegen sie zu eröffnen. Brunetti betrachtete sich kaum als Experten in Sachen Geistesgestörtheit, aber was er letzte Nacht erlebt hatte, sah ihm doch sehr danach aus. Und wenn die Frau verrückt war, schwand jede Chance, sie oder den Mann, der sie nach Brunettis fester Überzeugung auf ihre heilige Mission geschickt hatte, je vor Gericht zu bringen.
    Er rief im Krankenhaus an, kam aber nicht zu der Station durch, auf der Maria Testa lag. Er beugte den Oberkörper weit nach vorn und ließ sich von seinem eigenen Gewicht auf die Füße ziehen. Ein Blick aus dem Fenster sagte ihm, daß es wenigstens zu regnen aufgehört hatte. Er legte sich mit dem rechten Arm den Regenmantel um die Schultern und verließ sein Zimmer.
    Als Brunetti den - uniformlosen - Pucetti vor Maria Testas Zimmer sitzen sah, fiel ihm ein, daß nun, nachdem jemand sie zu ermorden versucht hatte, ein Polizeischutz ganz offiziell möglich war.
    »Guten Morgen, Commissario.« Pucetti sprang auf und salutierte zackig.
    »Guten Morgen, Pucetti«, antwortete Brunetti. »Was tut sich so?«
    »Den ganzen Vormittag gehen Ärzte und Schwestern ein und aus. Aber wenn ich etwas frage, gibt mir keiner eine Antwort.«
    »Ist im Moment jemand drin?«
    »Ja, eine Nonne. Ich glaube, sie hat etwas zu essen hineingebracht. Jedenfalls hat es so gerochen.«
    »Gut«, sagte Brunetti. »Essen muß sie. Wie lange ist das schon her?« fragte er, im Augenblick tatsächlich außerstande, sich zu erinnern, wie lange das Ganze schon ging.
    »Vier Tage, Commissario.«
    »Ja, stimmt. Vier Tage.« Brunetti erinnerte sich zwar noch immer nicht, war aber gern bereit, dem jungen Mann zu glauben. »Pucetti?«
    »Commissario?« antwortete Pucetti, diesmal ohne zu salutieren, wenn ihm das auch sichtlich schwerfiel.
    »Gehen Sie mal nach unten und rufen Sie Vianello an. Er soll jemanden zu Ihrer Ablösung herschicken, und sagen Sie ihm, er soll das offiziell im Dienstplan eintragen. Und dann gehen Sie nach Hause zum Essen. Wann haben Sie wieder Dienst?«
    »Erst übermorgen, Commissario.«
    »War heute Ihr freier Tag?«
    Pucetti blickte auf seine Tennisschuhe hinunter. »Nein,

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