Brunetti 07 - Nobiltà
gesehen, den Conte?«"
»Nein.« Er wusste nicht mehr, warum, aber er wusste, dass er ihn nicht gesehen hatte.
»Er war perfekt zurechtgemacht, wie sonst die Nachrichtensprecher.
Ich kenne mich da aus. Ich weiß noch, wie seltsam es mich damals berührt hat, dass ein Mann sich darauf einlässt, zumal unter solchen Umständen.«
»Was hatten Sie denn für einen Eindruck von ihm?« fragte Brunetti.
Sie dachte kurz nach und antwortete dann: »Er kam mir hoffnungslos vor, vollkommen überzeugt, dass er bitten und betteln konnte, so viel er wollte, er würde es nicht bekommen.«
»Verzweifelt?« fragte Brunetti.
»Das sollte man eigentlich meinen, nicht?« Sie sah zur Seite und überlegte wieder/Endlich antwortete sie: »Nein, nicht verzweifelt. Es war eher so eine müde Resignation, als ob er wusste, was passieren würde und dass er absolut nichts dagegen tun könnte.« Sie sah Brunetti wieder an und verband ihr Lächeln mit einem Achselzucken. »Tut mir leid, aber ich kann es nicht besser erklären. Vielleicht verstehen Sie, was ich meine, wenn Sie es sich selbst ansehen.«
»Wie komme ich denn an das Band?« fragte er.
»Ich nehme an, das hat RAI im Archiv. Ich rufe mal einen Bekannten in Rom an und versuche, eine Kopie zu bekommen.«
»Einen Bekannten?« Manchmal fragte er sich, ob es in Italien einen Mann zwischen einundzwanzig Und fünfzig gab, den Signorina Elettra nicht kannte.
»Na ja, eigentlich ist es ein Bekannter von Barbara, ihr ehemaliger Freund. Sie haben zusammen Examen gemacht, und er arbeitet jetzt in der Nachrichtenredaktion der RAI.«
»Dann ist er auch Arzt?«
»Nun, er ist Mediziner, aber ich glaube, als Arzt hat er nie praktiziert. Sein Vater ist bei der RAI, und man hat ihm dort gleich nach dem Studium eine Stelle angeboten. Da sie behaupten können, dass er Arzt ist, lassen sie ihn auf medizinische Fragen antworten. Sie kennen das ja. Wenn in einer Sendung über Diätkuren oder Sonnenbrand gesprochen wird und sie sichergehen wollen, dass alles stimmt, was sie den Leuten sagen, lassen sie Cesare recherchieren. Manchmal wird er sogar interviewt, dann erklärt Dottore Cesare Bellini den Leuten die neuesten medizinischen Erkenntnisse.« »Wie lange hat er denn Medizin studiert?«
»Sieben Jahre, glaube ich, genau wie Barbara.«
»Um jetzt über Sonnenbrand aufzuklären?«
Wieder lächelte sie kurz, dann zuckte sie wieder die Achseln. »Es gibt sowieso schon zu viele Ärzte; er konnte froh sein, dass er die Stelle bekam. Und er lebt gern in Rom.«
»Also, dann seien Sie so nett und rufen Sie ihn an.«
»Natürlich, Dottore, und die Kopien bringe ich Ihnen, sobald ich sie fertig habe.«
Brunetti sah, dass sie noch etwas sagen wollte. »Ja?«
»Wenn Sie die Ermittlungen wieder aufnehmen wollen, soll ich dann auch gleich eine Kopie für den Vice-Questore machen?«
»Es ist noch ein bisschen früh, um sagen zu können, ob wir den Fall noch einmal aufrollen, also genügt eine Kopie für mich«, antwortete Brunetti so vieldeutig, wie er konnte.
»Gut, Dottore«, kam Signorina Elettras unverbindliche Antwort.
»Und ich sorge dafür, dass die Originale wieder in die Ablage kommen.«
»Ja. Vielen Dank.« »Danach rufe ich Cesare an.« »Ich danke Ihnen, Signorina«, sagte Brunetti, und auf dem Weg nach oben machte er sich Gedanken über ein Land, das zu viele Ärzte hatte, während es von Jahr zu Jahr schwieriger wurde, einen Zimmermann oder einen Schuhmacher zu finden.
5
Brunetti kannte zwar den Kollegen in Treviso nicht, der damals die Ermittlungen im Entführungsfall Lorenzoni geleitet hatte, erinnerte sich dafür aber noch sehr gut an Gianpiero Lama, der für den venezianischen Teil der Ermittlungen zuständig gewesen war. Lama, ein Römer, war aufgrund der erfolgreichen Festnahme und anschließenden Verurteilung eines Mafia-Killers nach Venedig geholt worden und dort nur zwei Jahre geblieben, bevor man ihn zum Vice-Questore beförderte und nach Mailand versetzte, wo er nach Brunettis Kenntnis immer noch war.
Lama und Brunetti hatten zusammen gearbeitet, allerdings, ohne große Begeisterung auf beiden Seiten. Lama fand seinen Kollegen zu zaghaft bei der Verfolgung von Verbrechen und Verbrechern, zuwenig bereit, die Art von Risiken einzugehen, die Lama für nötig hielt. Da Lama es zudem völlig in Ordnung fand, das Gesetz hin und wieder zu ignorieren oder sogar zu beugen, um eine Festnahme durchzusetzen, kam es nicht selten vor, dass von ihm Festgenommene auf Grund irgendeines
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