Brunetti 07 - Nobiltà
Eilboten, abgeschickt von der Hauptpost in Venedig, wahrscheinlich in einen der Schlitze außen am Gebäude geworfen, und forderte sieben Milliarden Lire, allerdings stand nicht darin, wie das Geld übergeben werden sollte.
Inzwischen beherrschte die Geschichte die Titelseiten aller Zeitungen im Lande, so daß die Kidnapper zweifelsfrei wissen mussten, daß die Polizei eingeschaltet worden war. Im zweiten Brief, der einen Tag später aus Mestre kam, wurde die Lösegeldforderung auf fünf Milliarden reduziert und zugleich angekündigt, daß man das Wann und Wie der Geldübergabe einem Freund der Familie, der allerdings nicht namentlich genannt wurde, telefonisch mitteilen werde. Nach diesem Brief hatte Conte Ludovico dann übers Fernsehen an die Entführer appelliert, seinen Sohn freizulassen.
Der Text dieser Botschaft war der Akte beigeheftet. Der Conte erklärte darin, es sei ihm nicht möglich, die Summe aufzubringen, da sein Vermögen gesperrt sei. Er sagte auch, wenn die Entführer sich dennoch mit der Person in Verbindung setzen wollten, über die sie ihm ihre Anweisungen zu geben beabsichtigten, wolle er gern mit seinem Sohn tauschen: Er werde jede Anweisung befolgen. Brunetti notierte sich auf dem Umschlag, daß er versuchen wolle, sich ein Video vom Auftritt des Conte zu besorgen.
Im Anhang befand sich eine Liste mit den Namen und Adressen alter, die im Zusammenhang mit dem Fall vernommen worden waren, warum man sie vernommen hatte und in welcher Beziehung sie zu den Lorenzonis standen. Die Vernehmungsprotokolle waren auf mehreren Blättern zusammengefasst.
Brunetti überflog die Liste. Er entdeckte die Namen von mindestens sechs bekannten Kriminellen, konnte aber keine Verbindung zwischen ihnen erkennen. Einer war ein Einbrecher, ein anderer ein Autodieb, und ein dritter saß, wie Brunetti wusste, da er ihn selbst dorthin gebracht hatte, wegen Bankraubs im Gefängnis.
Vielleicht gehörten sie ja zu den Leuten, die der Polizei von Treviso als Informanten dienten. Es führte alles nicht weiter.
Einige andere Namen kannte er aufgrund der sozialen Stellung ihrer Träger, nicht weil es Kriminelle waren. Da war der Gemeindepriester der Familie Lorenzoni, der Direktor der Bank, die den größten Teil ihres Vermögens verwaltete, sowie der Anwalt und der Notar der Familie.
Verbissen las er die Akte bis zum Ende; er studierte die Blockbuchstaben auf den in Plastik verpackten Lösegeldbriefen und den daran gehefteten -Laborbericht, wonach keine Fingerabdrücke daraufwaren und das Papier zu gewöhnlich war, um zurückverfolgen zu können, wo es gekauft worden war. Er betrachtete die Fotos vom offenen Tor der Villa, sowohl in Nahaufnahme wie in der Totale. Zu ersterem gehörte auch ein Bild von dem Stein, der das Tor blockiert hatte. Brunetti sah, daß er zu groß war, um durch das Gitter zu passen: Er mußte von innen dorthin gelegt worden sein. Brunetti machte sich eine weitere Notiz.
Die letzten Blätter in der Akte befassten sich mit den Finanzen der Lorenzonis und enthielten eine Aufstellung ihrer Vermögenswerte und Beteiligungen in Italien sowie in anderen Ländern.
Die italienischen Firmen waren Brunetti, wie den meisten Italienern, mehr oder weniger vertraut Wer »Stahl« oder »Baumwolle« sagte, sprach gewissermaßen den Namen Lorenzoni aus.
Die ausländischen Beteiligungen waren weiter gestreut: Der Familie gehörten ein türkisches Fuhrunternehmen, Zuckerfabriken in Polen, eine Kette von Luxushotels auf der Krim und eine Zementfabrik in der Ukraine. Wie es bei vielen westeuropäischen Unternehmen der Fall War, reichten auch die Beteiligungen der Lorenzoni-Familie weit über die Grenzen des Kontinents hinaus und folgten vielfach dem Weg des siegreichen Kapitalismus nach Osten.
Er brauchte über eine Stunde, um alles durchzulesen, und als er fertig war, brachte er es wieder zu Signorina Elettra hinunter. »Könnten Sie mir das bitte alles fotokopieren?« fragte er, als er ihr den Ordner auf den Schreibtisch legte.
»Die Fotos auch?«
»Wenn es geht.«
»Hat man ihn gefunden, den jungen Lorenzoni?«
»Man hat jemanden gefunden«, antwortete Brunetti* und als ; er merkte, wie ausweichend das klang, fügte er hinzu: »Wahrscheinlich ist er es.«
Sie biss sich auf die Lippen und zog die Augenbrauen hoch, dann schüttelte sie den Kopf und meinte: »Der arme Junge. Die armen Eltern.« Sie schwiegen beide einen Augenblick, dann fragte sie: »Haben Sie ihn damals, als es passierte, im Fernsehen
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