Brunetti 07 - Nobiltà
»Sagen Sie aber nichts davon, wenn die Finanza kommt.«
Bevor der Conte noch etwas erwidern konnte, ertönte aus dem anderen Raum ein Ruf. Sie drehte sich um und war verschwunden.
»Kein Wunder, dass dieses Land wirtschaftlich verkommen ist«, brach es plötzlich aus dem Conte hervor. »Der beste Wein, den sie haben, und den dürfen sie nicht ausschenken; wahrscheinlich irgendeine unsinnige Bestimmung über den Alkoholgehalt, oder weil so ein Idiot in Brüssel befunden hat, dass er einem anderen Wein aus Portugal zu sehr ähnelt. Himmel, wir werden von Schwachsinnigen regiert.«
Brunetti, der seinen Schwiegervater immer zu den Regierenden gezählt hatte, fand diesen Ausbruch mehr als sonderbar. Aber bevor er ihn darauf ansprechen konnte, kam Valeria zurück und brächte in einer Literkaraffe einen hellen Weißwein, dazu unaufgefordert eine Flasche Mineralwasser.
Der Conte goß Wein in zwei Gläser und schob Brunetti das eine hin. »Sag mir, was du davon hältst.«
Brunetti nahm das Glas und trank einen Schluck. Er hatte Urteile über Wein schon immer albern gefunden, all dieses Geschwätz von ›kerniger Fülle‹ und ›Bukett von zerdrückten Himbeeren‹, darum sagte er nur: »Sehr gut« und stellte sein Glas ab. »Erzähl mir mehr über den Jungen. Du hast gesagt, du mochtest ihn nicht.«
Der Conte hatte zwanzig Jahre Zeit gehabt, sich an seinen Schwiegersohn und dessen Art zu gewöhnen, also trank er einen Schluck und antwortete dann: »Wie ich schon sagte, er war dumm und eingebildet, eine ärgerliche Kombination.«
»Was hatte er denn für Aufgaben innerhalb der Firma?«
»Ich glaube, er lief unter der Bezeichnung consulente, wenngleich ich nicht weiß, wen er wozu beraten sollte. Wenn ein Kunde zum Essen ausgeführt werden musste, war Roberto dabei. Ich nehme an, dass Ludovico hoffte, der Kontakt mit Kunden und die Geschäftsgespräche würden ihn solider machen, oder wenigstens die Geschäfte ernster nehmen lassen.«
Brunetti, der während seines Studiums in allen Semesterferien gearbeitet hatte, fragte: »Aber er ging doch sicher nicht nur zu Geschäftsessen und nannte das dann Arbeit?«
»Manchmal haben sie Roberto als Kurier benutzt, wenn wichtige Sendungen rasch zugestellt oder abgeholt werden mussten. Wenn zum Beispiel ein Vertrag nach Paris musste, verstehst du, oder ein neues Musterbuch für die Textilfabriken musste dringend irgendwohin gebracht werden, dann übernahm Roberto das und konnte noch ein Wochenende in Paris oder Prag oder sonstwo anhängen.«
»Angenehme Arbeit«, bemerkte Brunetti. »Und das Studium?«
»Zu faul. Oder zu dumm«, erklärte der Conte wegwerfend.
Brunetti wollte gerade einwenden, dass er nach allem, was Paola über ihre Studenten erzählte, den Eindruck hatte, dies seien beides keine Hindernisse, aber. er verstummte, als Valeria an ihren Tisch kam und zwei Teller voll kleiner von Öl und Essig glänzender Sardinen brachte.
»Buon appetito«, wünschte sie ihnen Und ging an einen der Nachbartische, von wo jemand nach ihr gewinkt hatte.
Beide Männer machten sich nicht die Mühe, die winzigen Fische zu zerlegen, sondern nahmen sie mitsamt dem herabtropfenden Öl, den Zwiebelringen und Rosinen auf die Gabel und aßen sie ganz.
»Bon«, sagte der Conte. Brunetti nickte nur und genoss den Fisch mit dem scharfen Essigaroma. Irgend jemand hatte ihm einmal erzählt, die venezianischen Fischer hätten vor Jahrhunderten ihren Fisch so essen müssen, klein geschnitten und eingelegt, damit er nicht verdarb, und eine andere Geschichte besagte, der Essig sei gegen Skorbut beigefügt worden.
Er wusste nicht, ob die eine oder die andere Geschichte so stimmte, aber wenn ja, dann war er den Fischern dankbar.
Als alle Sardinen gegessen waren, nahm Brunetti ein Stück Brot und wischte seinen Teller damit sauber. »Hat er sonst noch etwas gemacht, dieser Roberto?«
»Du meinst geschäftlich?«
Der Conte goss ihre Gläser noch einmal halb voll. »Nein. Ich glaube, viel mehr konnte er nicht tun, oder er hatte kein Interesse daran.« Er trank einen Schluck. »Er war bestimmt nicht schlecht, der Junge, nur dumm.
Als ich ihn das letzte Mal sah, hat er mir sogar leid getan.«
»Wann war das? Und warum hat er dir leid getan?«
»Das muß wenige Tage vor seiner Entführung gewesen sein. Seine Eltern gaben zu ihrem dreißigsten Hochzeitstag ein Fest und hatten Donatella und mich dazu eingeladen. Roberto war auch da.« Der Conte hielt nach diesen Worten inne und setzte erst nach
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