Brunetti 09 - Feine Freunde
das Gas weg, wodurch das Boot so unsanft anlegte, daß alle auf dem Deck durcheinandergewirbelt wurden. Einer der Techniker mußte sich an Brunettis Schulter festhalten, um nicht die Kabinentreppe hinunterzufallen. Der Bootsführer stellte den Motor ab und sprang an Land, schnappte sich das Tau, mit dem er das Boot gleich am Landesteg festmachen würde, und beschäftigte sich angelegentlich mit seinen Knoten. Brunetti und die anderen verließen stumm das Boot und gingen hinüber zur Questura.
Brunetti begab sich unverzüglich in Signorina Elettras kleines Büro. Sie telefonierte gerade, gab ihm aber, als sie ihn sah, ein Zeichen, er solle dableiben. Er betrat ihr Zimmer nur zögernd, weil er fürchtete, diesen schrecklichen Gestank mit hereinzubringen, der noch immer in seiner Phantasie lungerte, wenn auch nicht mehr in seiner Kleidung. Er stellte sich ans offene Fenster, gleich neben die große Vase mit Lilien, deren ölige Süße die Luft mit jenem schweren Duft erfüllte, den er noch nie hatte leiden können.
Signorina Elettra mußte sein Unbehagen gespürt haben, denn sie warf einen Blick zu ihm herüber, hielt den Hörer von ihrem Ohr ab und wedelte mit der anderen Hand durch die Luft, wie um zu zeigen, daß der Anrufer ihr auf die Nerven ging. Dann nahm sie den Hörer wieder ans Ohr und sagte ein paarmal si, ohne sich ihre Ungehaltenheit anmerken zu lassen. Eine Minute verging. Erneut hielt sie den Hörer von sich ab, um ihn dann plötzlich wieder ans Ohr zu nehmen, grazie und ciao zu sagen und aufzulegen.
»Und das alles nur, um mir zu erklären, warum er heute abend nicht kommen kann«, sagte sie nur, und das war alles, was sie dazu von sich gab. Es war nicht viel, bot Brunetti aber immerhin Anlaß, sich Gedanken darüber zu machen, wer wohin und wozu nicht kommen konnte. Er sagte aber nichts.
»Wie war's?« fragte sie.
»Schlimm«, antwortete Brunetti. »Er war zwanzig. Und keiner weiß, wie lange er da schon gelegen hat.«
»Bei dieser Hitze«, sagte sie, und das sollte keine Frage sein, sondern Ausdruck allgemeiner Anteilnahme.
Brunetti nickte. »Drogen. Überdosis.«
Sie sagte dazu nichts, schloß nur die Augen und meinte dann: »Ich habe mich bei ein paar Bekannten über Drogen erkundigt, aber sie sagen alle dasselbe: daß Venedig ein sehr kleiner Markt ist.« Sie verstummte kurz und fuhr dann fort: »Immerhin ist er wohl doch so groß, daß jemand diesem Jungen seinen Tod verkaufen konnte.«
Es mutete Brunetti seltsam an, sie von Marco als einem »Jungen« reden zu hören, wo sie doch selbst kaum mehr als zehn Jahre älter sein konnte. »Ich muß seine Eltern anrufen«, sagte er.
Sie sah kurz auf ihre Uhr. Brunetti blickte auf die seine und stellte mit Erstaunen fest, daß es erst zehn nach eins war. Der Tod machte alle wirkliche Zeit bedeutungslos, und er hatte das Gefühl, Tage in dieser Wohnung zugebracht zu haben.
»Warten Sie noch ein wenig, Commissario.« Bevor er nach dem Grund fragen konnte, erklärte sie ihn schon: »Dann ist vielleicht der Vater zu Hause, und sie haben fertig zu Mittag gegessen. Es ist besser, die Familie ist zusammen, wenn sie es erfährt.«
»Richtig«, antwortete er. »Das hatte ich nicht bedacht. Also, warten wir noch etwas.« Er wußte nur nicht, womit er inzwischen die Zeit ausfüllen sollte.
Signorina Elettra streckte die Hand aus und drückte einen Knopf an ihrem Computer, der daraufhin ein Summen von sich gab, dann wurde der Bildschirm dunkel. »Ich denke, ich mache jetzt mal Schluß und gehe vor dem Essen noch un'ombra trinken. Kommen Sie mit, Commissario?« Sie mußte über ihre eigene unerhörte Kühnheit lächeln: Ihr Chef, ein verheirateter Mann, und sie lud ihn zu einem Glas Wein ein!
Aber das Mitgefühl, das darin lag, rührte Brunetti so, daß er nur sagte: »Ja, gern, Signorina.«
Es war dann schon kurz nach zwei, als er anrief. Eine Frau meldete sich, und Brunetti verlangte Signor Landi. Stumm dankte er dann niemand Bestimmtem, als sie keinerlei Neugier an den Tag legte und nur sagte, sie werde ihren Mann holen.
»Landi«, meldete sich eine tiefe Stimme.
»Signor Landi«, sagte Brunetti. »Hier ist Commissario Guido Brunetti. Ich rufe aus der Questura in Venedig an.«
Bevor er fortfahren konnte, unterbrach ihn Landi mit plötzlich lauter, gepreßter Stimme: »Geht es um Marco?«
»Ja, Signor Landi, es geht um ihn.«
»Wie schlimm?« fragte Landi etwas leiser.
»Ich muß Ihnen leider sagen, daß es nicht schlimmer sein könnte, Signor
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