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Brunetti 09 - Feine Freunde

Brunetti 09 - Feine Freunde

Titel: Brunetti 09 - Feine Freunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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Miene ansah, »ich glaube nicht, daß sie irgend jemandem so gefallen können wie ihr.«
    Es war jetzt vier Jahre her, daß Brunetti von seiner Frau nach zwanzig Ehejahren verlassen worden war, und zwar für über einen Monat, eine Zeit, in der sie sich systematisch durch nicht weniger als - wenn er richtig gezählt hatte - achtzehn Seefahrerromane hindurchgelesen hatte, die sich mit den endlosen Jahren des Krieges zwischen Briten und Franzosen befaßten. Ihm war diese Zeit nicht weniger endlos vorgekommen, denn es war eine Zeit, in der auch er sich mit hastig zubereiteten Mahlzeiten hatte begnügen müssen, halbgares Fleisch und trockenes Brot gegessen und oft genug Trost in übermäßigen Mengen Grog gesucht hatte. Da Paola sich für gar nichts anderes mehr zu interessieren schien, hatte er einmal in eines dieser Bücher hineingeschaut, und sei es nur, damit sie bei ihren zusammengestoppelten Mahlzeiten ein Gesprächsthema hatten. Er hatte es aber weitschweifig gefunden, vollgepfropft mit wunderlichen Fakten und noch wunderlicheren Tieren, und so hatte er nach wenigen Seiten aufgegeben, noch ehe er überhaupt Captain Aubreys Bekanntschaft gemacht hatte. Zum Glück war Paola eine Schnelleserin und kehrte, nachdem sie das letzte Buch verschlungen hatte, wieder ins zwanzigste Jahrhundert zurück, offenbar unberührt von Schiffbruch, Skorbut und den Schlachten, die in den vergangenen Wochen ihr Leben bedroht hatten.
    Daher also die Karten. »Ich werde mit deiner Mutter darüber reden müssen«, sagte er.
    »Worüber?« fragte Chiara, den Kopf wieder über die Karten gesenkt und die linke Hand emsig mit ihrem Taschenrechner beschäftigt - ein Instrument, um das Captain Aubrey sie gewiß beneidet hätte, dachte Brunetti.
    »Über den Segelkurs.«
    »Ah, yes«, antwortete Chiara, die mit der Gewandtheit eines Aals in die englische Sprache schlüpfen konnte. »I long to sail a ship.«
    Brunetti überließ sie dieser Sehnsucht, füllte sein Glas nach, goß ein zweites ein und ging in Paolas Zimmer, dessen Tür offenstand. Sie lag auf dem Sofa, und nur ihre Stirn war hinter dem Buch zu sehen, in dem sie gerade las.
    »Captain Aubrey, I presume«, wandelte er Stanleys berühmte Begrüßungsworte an Livingstone ab.
    Sie legte sich das Buch auf den Bauch und lächelte ihn an. Wortlos streckte sie die Hand nach dem Glas aus, das er ihr reichte. Sie trank einen Schluck, zog die Beine an, um auf dem Sofa Platz für ihn zu machen, und fragte, als er saß: »Schlimmer Tag?«
    Er lehnte sich seufzend zurück und legte die rechte Hand auf ihre Fesseln. »Überdosis. Er war erst zwanzig. Architekturstudent.«
    Eine ganze Weile sprachen sie beide nicht, dann meinte Paola: »Wir können von Glück sagen, daß wir so früh geboren sind.«
    Er sah sie an, und sie fuhr fort: »Bevor es die Drogen gab. Vielmehr bevor alle Welt sie nahm.« Sie nippte an ihrem Wein und fügte hinzu: »Ich habe vielleicht zweimal in meinem Leben Marihuana geraucht. Gott sei Dank hat es bei mir nie gewirkt.«
    »Wieso ›Gott sei Dank‹?«
    »Sieh mal, wenn es mir geschmeckt hätte, oder wenn es bei mir so gewirkt hätte, wie es bei anderen Leuten angeblich wirkt, dann hätte mir das vielleicht so gefallen, daß ich es wieder genommen hätte. Oder ich wäre auf härtere Sachen umgestiegen.«
    Das war wohl auch mein Glück, dachte Brunetti.
    »Woran ist er gestorben?« fragte sie.
    »Heroin.«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Ich war bis vorhin noch mit den Eltern zusammen.« Brunetti nippte an seinem Glas. »Sein Vater ist Bauer. Sie sind aus Trient angereist, um ihn zu identifizieren, und danach gleich wieder nach Hause gefahren.«
    »Haben sie noch mehr Kinder?«
    »Eine jüngere Tochter. Ob noch mehr, weiß ich nicht.«
    »Ich hoffe es für sie«, sagte Paola. Sie streckte die Beine aus und schob ihre Füße unter seinen Oberschenkel. »Möchtest du essen?«
    »Ja, aber vorher duschen.«
    »Gut«, sagte sie, indem sie die Beine vom Sofa schwang und die Füße auf den Boden stellte. »Ich habe Paprikagemüse mit Würstchen gemacht.«
    »Ich weiß.«
    »Ich schicke dann Chiara nach dir, wenn es soweit ist.« Sie stand auf und stellte ihr Glas, das immer noch gut halb voll war, auf das Sofatischchen. Dann ließ sie ihn in ihrem Arbeitszimmer zurück und ging in die Küche, um das Essen fertig zu machen.
    Als sie schließlich alle um den Eßtisch saßen - Raffi war gerade in dem Moment nach Hause gekommen, als Paola die Pasta auftrug -, war Brunettis Stimmung schon

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