Brunetti 09 - Feine Freunde
klappte automatisch zu, und der Zug machte sich auf den Weg zur Brücke und in die Welt jenseits von Venedig. Als das Abteil mit den Landis vorüberglitt, sah Brunetti, daß die beiden nebeneinandersaßen und er den Arm um ihre Schulter gelegt hatte. Sie starrten auf die Sitze gegenüber und schauten nicht noch einmal aus dem Fenster, um nach den beiden Polizisten zu sehen.
14
A us einer Telefonzelle vor dem Bahnhof rief Brunetti, der selbst darüber staunte, daß er daran gedacht hatte, das Hotel an und bestellte das Zimmer wieder ab. Danach reichte seine Energie nur noch dafür, nach Hause zu gehen. Er und Vianello stiegen in ein 82er Boot, aber beide redeten sehr wenig, während es sie zum Rialto brachte. Dort verabschiedeten sie sich in gedrückter Stimmung, und Brunetti nahm seinen ganzen Jammer mit über die Brücke und den inzwischen geschlossenen Markt nach Hause. Selbst die Orchideenpracht im Schaufenster von Biancat konnte seinem Gemüt nicht aufhelfen, nicht einmal die köstlichen Essensdüfte auf dem Treppenabsatz im zweiten Stock seines Wohnhauses.
Noch köstlicher waren die Düfte in seiner eigenen Wohnung: Da hatte jemand geduscht oder gebadet und dazu das Rosmarin-Shampoo benutzt, das Paola letzte Woche mitgebracht hatte; und Paola hatte Würstchen mit Paprikagemüse zubereitet. Er hoffte, daß sie dazu auch noch frische Pasta gemacht hatte.
Er hängte sein Jackett in den Garderobenschrank. Als er in die Küche kam, sprang Chiara, die am Tisch saß und offenbar mit einer Geographiearbeit beschäftigt war - der ganze Tisch lag voll mit Landkarten, einem Lineal und einem Winkelmesser - sofort auf und warf sich ihm an den Hals. Er dachte an den Gestank in Marcos Wohnung und mußte sich zusammennehmen, um sich ihr nicht zu entziehen.
»Papà«, sagte sie, noch ehe er Zeit gehabt hatte, ihr einen Kuß zu geben oder auch nur guten Tag zu sagen, »kann ich diesen Sommer einen Segelkurs machen?«
Brunetti blickte sich vergeblich suchend nach Paola um, die ihm hierfür vielleicht eine Erklärung hätte geben können.
»Segelkurs?« wiederholte er.
»Ja, papà«, sagte sie und sah lächelnd zu ihm auf. »Ich habe mir ein Buch besorgt und versuche mir damit das Navigieren beizubringen, aber das Segeln wird mir schon jemand anders zeigen müssen.« Sie nahm seine Hand und zog ihn zum Küchentisch, auf dem tatsächlich Karten lagen, aber er sah jetzt, daß es Karten von Untiefen und Küstenlinien waren, den Rändern, an denen Länder und Kontinente die Meere umfingen.
Sie ließ ihn los und sah auf das Buch hinunter, das offen vor ihr lag, aufgehalten von einem anderen Buch. »Sieh mal, papà«, sagte sie, wobei sie mit dem Finger an einer Zahlenreihe entlangfuhr, »wenn der Himmel nicht bewölkt ist und wenn sie gute Karten und ein Chronometer haben, können sie ziemlich genau sagen, wo sie gerade sind, und zwar überall auf der Welt.«
»Wer kann das, Engelchen?« fragte er, während er den Kühlschrank öffnete und ihm eine Flasche Tokaier entnahm.
»Captain Aubrey und seine Leute«, antwortete sie in einem Ton, der klarstellte, daß diese Antwort doch wohl auf der Hand lag.
»Und wer ist Captain Aubrey?«
»Der Kapitän der Surprise«, sagte sie und sah ihn an, als hätte er soeben zugegeben, seine eigene Adresse nicht zu kennen.
»Surprise?« wiederholte Brunetti, der einer Erleuchtung noch immer nicht näher war.
»In den Büchern, papà - denen über den Krieg gegen die Franzosen.« Bevor er seine Unwissenheit eingestehen konnte, ergänzte sie: »Die sind richtig fies, die Franzosen, nicht wahr?«
Brunetti, der das für ausgemacht hielt, sagte nichts, denn er hatte immer noch keine Ahnung, wovon eigentlich die Rede war. Er schenkte sich erst einmal ein Gläschen Wein ein und trank einen kräftigen Schluck, dann noch einen. Wieder blickte er auf die Karten und sah, daß auf den blauen Teilen viele Schiffe waren, aber altmodische, über denen sich riesige weiße Segel blähten, und in den vier Ecken der Karte entstiegen Tritonen - wie diese Meeresgötter seines Wissens hießen - den Fluten und hielten sich Muschelschalen an die Lippen.
Er gab sich geschlagen. »Was für Bücher sind das, Chiara?«
»Die mamma mir gegeben hat, auf englisch. Über diesen englischen Kapitän und seinen Freund und den Krieg gegen Napoleon.«
Ah, diese Bücher. Er trank noch ein Schlückchen. »Und gefallen sie dir so gut, wie sie mamma gefallen?«
»Ach, weißt du«, meinte Chiara, wobei sie ihn mit ernster
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