Brunetti 09 - Feine Freunde
wieder etwas besser. Seinen beiden Kindern zuzusehen, wie sie die frisch zubereiteten Bandnudeln auf ihre Gabeln wickelten, verschaffte ihm ein animalisches Gefühl der Geborgenheit und Wohligkeit, und er machte sich mit Genuß über seine eigene Portion pappardelle her. Paola hatte sich sogar die Arbeit gemacht, die roten Paprikaschoten zu brühen und abzuhäuten, so daß sie nun weich und mild waren, wie er sie am liebsten aß. In die Würstchen waren reichlich frische rote und weiße Pfefferkörner eingearbeitet, die in der zarten Fülle steckten wie Geschmacksminen und nur darauf warteten, zu explodieren, wenn man hineinbiß; und Gianni, der Fleischer, hatte bei der Herstellung auch nicht mit Knoblauch gespart.
Alle nahmen eine zweite Portion, deren Größe eine wirklich schon peinliche Ähnlichkeit mit der jeweils ersten hatte. Danach hatten alle höchstens noch etwas Platz für ein paar Blättchen grünen Salat, doch nachdem auch diese verdrückt waren, entdeckte ein jedes doch noch ein winziges freies Eckchen für die allerkleinste Portion frische Erdbeeren, aromatisiert mit einem Tropfen aceto balsamico.
Und die ganze Zeit gefiel sich Chiara in der Rolle des alten Seebären, indem sie ihnen ununterbrochen die Flora und Fauna ferner Länder aufzählte, sie dann mit der Mitteilung schockierte, daß die meisten Seeleute im achtzehnten Jahrhundert nicht schwimmen konnten, und ihnen zum Schluß noch die Symptome der Skorbutkrankheit schilderte, bis Paola sie darauf hinwies, daß sie beim Essen waren.
Die Kinder verzogen sich, Raffi zur altgriechischen Zeitform des Aorist, Chiara - falls Brunetti sie richtig verstanden hatte - zu Schiffbrüchen im Südatlantik.
»Will sie diese Bücher alle lesen?« fragte er, während er Paola beim Abwaschen Gesellschaft leistete und dabei langsam einen Grappa schlürfte.
»Das hoff ich doch«, antwortete Paola, ohne von der Servierplatte aufzusehen, die sie gerade abspülte.
»Liest sie die Bücher, weil sie dir so gefallen haben, oder weil sie ihr selbst gefallen?«
Paola, die mit dem Rücken zu ihm stand, scheuerte gerade einen Topfboden. »Wie alt ist Chiara?« fragte sie.
»Fünfzehn«, antwortete Brunetti.
»Kannst du mir eine lebende Fünfzehnjährige nennen, oder eine Fünfzehnjährige überhaupt, die je getan hätte, was ihre Mutter sich von ihr wünschte?«
»Heißt das, die Adoleszenz hat wieder zugeschlagen?« fragte er, denn die hatten sie schon mit Raffi durchgemacht, und wenn er sich recht erinnerte, hatte sie ungefähr zwanzig Jahre gedauert, so daß die Aussicht, dasselbe nun noch einmal mit Chiara zu erleben, ihn nicht gerade begeisterte.
»Bei Mädchen verläuft sie anders«, sagte Paola, wobei sie sich umdrehte und ihre Hände an einem Küchentuch abtrocknete. Sie schenkte sich ein Tröpfchen Grappa ein und lehnte sich gegen die Spüle.
»Wie anders?« wollte Brunetti wissen.
»Sie rebellieren nur gegen die Mutter, nicht auch gegen den Vater.«
Darüber mußte er nachdenken. »Ist das denn nun gut oder schlecht?«
Sie zuckte die Achseln. »Es liegt in den Genen, vielleicht auch in unserer Kultur, also bleibt es uns auf keinen Fall erspart, egal ob es gut oder schlecht ist. Wir können nur hoffen, daß es nicht lange dauert.«
»Was wäre lange?«
»Bis sie achtzehn ist.« Paola trank noch ein Schlückchen, und gemeinsam ließen sie sich diese Aussicht durch den Kopf gehen.
»Würden die Karmeliterinnen sie wohl so lange nehmen?«
»Kaum«, antwortete Paola mit fröhlichem Bedauern in der Stimme.
»Glaubst du, die Araber verheiraten aus diesem Grund ihre Töchter so jung - um dem allen aus dem Weg zu gehen?«
Paola erinnerte sich an die hitzige Debatte vom Morgen, in der Chiara ihr auseinandergesetzt hatte, warum sie unbedingt ein eigenes Telefon brauche. »Das glaube ich ganz bestimmt.«
»Kein Wunder, daß man da von der Weisheit des Ostens spricht.«
Sie drehte sich um und stellte ihr Glas in die Spüle. »Ich muß noch ein paar Hausarbeiten korrigieren. Möchtest du dich zu mir setzen und solange weiterlesen, wie es deinen Griechen auf der Heimfahrt ergeht?«
Brunetti erhob sich dankbar und folgte ihr über den Flur zu ihrem Arbeitszimmer.
15
A m nächsten Morgen tat Brunetti sehr widerstrebend etwas, was er selten tat: Er zog eines seiner Kinder in seine Arbeit hinein. Raffi brauchte erst um elf Uhr in der Schule zu sein und war davor noch mit Sara Paganuzzi verabredet, weshalb er fröhlich und aufgeräumt zum Frühstück erschien,
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