Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune
hinauszuschicken. Es wäre gegen jede Vorschrift.« Gleichzeitig machte er sich klar, daß er ebensowenig befugt war, sie davon abzuhalten.
»Aber ich bin befugt, mir eine Woche Urlaub zu gönnen, Commissario. Daran ist nichts Vorschriftswidriges.«
»Sie dürfen das nicht«, beharrte er.
»Unser erster Krach«, meinte sie mit aufgesetzter Trauer im Gesicht, so daß er sich eines Lächelns nicht enthalten konnte.
»Ich möchte wirklich nicht, daß Sie das tun, Elettra.«
»Und das erste Mal, daß Sie mich beim Namen nennen.«
»Ich möchte nicht, daß es das letzte Mal ist«, raunzte er zurück.
»Soll das eine Drohung sein, daß Sie mich rausschmeißen, oder eine Warnung, daß mich da draußen jemand umbringen könnte?«
Er dachte lange über seine Antwort nach, bevor er sie gab. »Wenn Sie mir versprechen, nicht nach Pellestrina zu fahren, verspreche ich Ihnen, Sie nie rauszuschmeißen.«
»Commissario«, antwortete sie, jetzt wieder mit der gewohnten Förmlichkeit, »so verlockend dieses Angebot auch ist: Sie müssen wissen, daß Vice-Questore Patta es Ihnen nie gestatten würde, mich zu entlassen, selbst wenn herauskäme, daß ich diese beiden Männer umgebracht habe. Ich erleichtere ihm viel zu sehr das Leben.« Daß dem so war, mußte Brunetti zugeben, wenigstens vor sich selbst.
»Und wenn ich Sie wegen Ungehorsams belange?« fragte er, aber beide wußten, daß er so etwas nie fertigbrächte.
Als ob er gar nicht gesprochen hätte, fuhr sie fort: »Ich brauche irgendeine Möglichkeit, mich mit Ihnen in Verbindung zu setzen.«
»Wir können Ihnen ein telefonino mitgeben«, lenkte er ein.
»Es wird leichter für mich sein, wenn ich mein eigenes benutze«, antwortete sie. »Aber es wäre mir lieb, wenn jemand dort wäre, nur für den Fall, daß es stimmt, was Sie sagen, und wirklich Gefahr besteht.«
»Ein paar von unseren Leuten werden zum Ermitteln draußen sein. Denen können wir sagen, daß Sie dort sind.«
Ihre Erwiderung kam prompt. »Nein. Ich würde mich nicht darauf verlassen, daß sie mich nicht ansprechen, wenn sie mich sehen, und wenn Sie ihnen sagen, sie sollen mich ignorieren, werden sie das so auffällig tun, daß sie schon dadurch Aufmerksamkeit auf mich lenken. Ich möchte nicht, daß jemand von hier weiß, was ich tue. Sie sollen nach Möglichkeit nicht einmal wissen, daß ich dort bin. Außer Ihnen und Sergente Vianello.«
Gründete dieses Widerstreben auf Wissen über Mitarbeiter der Questura, das er nicht hatte, oder war es ein noch tieferes Mißtrauen gegenüber der menschlichen Natur als sein eigenes? »Wenn ich die Ermittlungen selbst übernehme, bin ich es, der mit den Leuten da draußen redet.
Nur Vianello und ich.«
»Das wäre am besten.«
»Wie lange haben Sie denn vor, dort draußen zu bleiben?«
»Ich denke, ich kann so lange bleiben, wie ich es sonst auch tue, etwa eine Woche, vielleicht ein bißchen länger. Es wird ja nicht so sein, daß die Leute im Dorf mich aus dem orangeroten Bus steigen sehen und gleich zu mir kommen, um mir zu sagen, wer es war, oder? Nein, ich fahre nur nach Pellestrina hinaus, wohne bei meiner Kusine und höre, was es Neues gibt und worüber die Leute so reden. Nichts Ungewöhnliches daran.«
Damit war so gut wie alles besprochen. »Würden Sie es übertrieben finden, wenn ich Sie fragte, ob Sie vielleicht eine Schußwaffe mitnehmen möchten?« fragte er.
»Ich glaube, es wäre viel übertriebener, wenn ich mir eine geben ließe, Commissario«, sagte sie, und damit wandte sie sich ab, so froh wie er, das Ganze hinter sich zu haben. »Fürs erste werde ich mal zusehen, was ich über die Bottins herausbekomme, ja?« fragte sie, streckte den Arm nach ihrem Computerbildschirm aus und drehte ihn zu sich.
7
W as willst du sie tun lassen?« ereiferte sich Paola am Abend nach dem Essen, als er ihr von seiner Fahrt nach Pellestrina und dem anschließenden Gespräch - er wollte es als Auseinandersetzung bezeichnen, hielt das dann aber doch für eine Übertreibung - mit Signorina Elettra berichtet hatte. »Du willst sie nach Pellestrina fahren und Detektiv spielen lassen? Allein? Unbewaffnet? Während da ein Mörder frei herumläuft? Bist du von Sinnen, Guido?«
Sie saßen immer noch am Tisch, nachdem die Kinder gegangen waren, um zu tun, was pflichtbewußte und gehorsame Kinder nach dem Essen tun, wenn sie nur ja nicht abwaschen möchten. Paola stellte ihr Glas, das noch halb voll Calvados war, auf den Tisch zurück und funkelte ihn an.
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