Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune
arbeite auch bei der Polizei«, versetzte Brunetti, nicht wenig entrüstet. »Ich will doch hoffen, daß du das nicht vergessen hast.«
»Na, nun sei nicht gleich so dünnhäutig, Guido«, ver-setzte sie, wobei sie ihm die Hand auf den Arm legte. »Du weißt genau, wie ich das meine. Du bist Akademiker, hast Jura studiert und bist zur Polizei gegangen, als die Verhältnisse noch anders waren - als das noch eine ehrenvolle Lebensaufgabe war.«
»Das ist es jetzt nicht mehr?«
»Doch, ehrenvoll gewiß noch«, begann sie, und als sie sein Gesicht sah, fuhr sie hastig fort: »Ich meine, es ist natürlich eine ehrenwerte Entscheidung; du weißt, daß ich das so sehe. Nur ist es eben so, daß die Besten - gerade Leute wie du - diese Laufbahn nicht mehr einschlagen mögen. In zehn Jahren triffst du da nur noch Pattas und Alvises -Ehrgeizlinge und Dummköpfe.«
»Und welcher ist was?« fragte Brunetti.
Sie lachte. »Gute Frage.« Sie saßen auf der Terrasse und tranken Kräutertee, nachdem die Kinder sich wieder mit ihren Büchern zurückgezogen hatten. Vier sehr bauschige Wolken, ganz rosa von der Abendsonne, bildeten einen fernen Hintergrund zum Glockenturm von San Polo; der übrige Himmel war klar und verhieß einen weiteren herrlichen Tag.
Sie kam auf das Thema zurück. »Was meinst denn du, woher es kommt, daß so wenige Leute, mit denen man wirklich etwas anfangen kann, heutzutage zur Polizei gehen?«
Statt zu antworten, stellte er ihr eine Gegenfrage: »Ist das bei euch nicht dasselbe? Was bekommt ihr denn an der Universität für neue Kollegen?«
»Mein Gott, jetzt reden wir schon wie Plinius der Ältere - sitzen hier herum und maulen über die Respektlosigkeit der Jugend und wie überhaupt alles vor die Hunde geht.«
»So haben die Menschen schon immer geredet. Es ist eine der wenigen Konstanten in den geschichtlichen Werken, die ich lese: Jedes Zeitalter betrachtet seinen Vorläufer als das Goldene, in dem die Männer noch tugendhaft, die Frauen rein und die Kinder gehorsam waren.«
»Respektvoll nicht zu vergessen«, ergänzte Paola.
»Wer, die Kinder oder die Frauen?«
»Beide vermutlich.«
Sie schwiegen eine geraume Weile, bis die Wolken nach Süden weitergezogen waren und den Glockenturm von San Marco einrahmten.
Brunetti brach schließlich das Schweigen. »Ja, wer kommt jetzt noch zu uns?« meinte er. Und als Paola die Frage ebenso unbeantwortet ließ, fuhr er fort: »Es geht einfach zu oft so: Wir strampeln uns ab, um Rechtsbrecher hinter Gitter zu bringen, und kaum haben wir sie, bekommen Anwälte und Richter die Sache in die Finger, und dann gehen sie letzten Endes doch wieder straffrei aus. Ich habe das Dutzende Male erlebt, und ich erlebe es immer öfter. Da hat zum Beispiel vorige Woche in Bologna diese Frau geheiratet. Vor zwei Jahren hatte sie ihren damaligen Mann erstochen. Verurteilt zu neun Jahren. Nach drei Monaten war sie auf Bewährung draußen, und nun hat sie wieder geheiratet.«
Normalerweise hätte Paola etwas Witziges über den Mut des neuen Gemahls gesagt, aber sie wartete erst ab, ob er fertig war, und als Brunetti dann fortfuhr, schockierte sie das, was er sagte: »Ich könnte ja in Pension gehen.« Sie antwortete noch immer nicht. »Die nötigen Dienstjahre hätte ich. Oder doch fast. Das heißt, ich könnte in etwa zwei Jahren in den Ruhestand gehen.«
»Möchtest du das?« fragte Paola.
Er trank einen Schluck von seinem Tee, stellte fest, daß er kalt geworden war, goß ihn in die große Terrakottaschale mit dem Oleander, schenkte sich eine neue Tasse ein, tat Honig dazu und sagte: »Wahrscheinlich nicht. Nicht wirklich. Aber mitunter belastet es einen schon sehr, wenn man einfach zusehen muß und nichts dagegen tun kann.« Brunetti ließ sich in seinen Sessel zurücksinken und streckte die Beine von sich, die Tasse zwischen beiden Händen. »Ich weiß, daß ich das mit der Heirat dieser Frau viel zu tragisch nehme, aber es kommt eben immer wieder vor, daß ich etwas lese oder passieren sehe, das ich unerträglich finde.«
»Stand nicht in den Zeitungen, daß er sie geschlagen hat?« fragte Paola.
»Ich habe einen Bekannten in Bologna, der die ursprünglichen Vernehmungen gemacht hat. Sie hat davon erst etwas gesagt, nachdem sie mit einem Anwalt gesprochen hatte. Und mit ihrem jetzigen Mann hatte sie vorher schon ein Verhältnis.«
»Von alledem hat nichts in der Zeitung gestanden, woraus ich schließe, daß beim Prozeß nicht die Rede davon war«, sagte
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