Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima
ich das Thema zur Sprache brachte - und das tat ich, als ich noch jünger war -, merkte ich, daß sie nicht darüber reden mochte und daß ich auch ihn nicht danach fragen sollte. Also hab ich's gelassen, und dann habe ich wohl irgendwann meine Neugier verloren oder wollte nicht mehr so unbedingt wissen, was genau er getan hatte.« Und bevor Brunetti darauf antworten konnte, fuhr sie fort: »Genau wie du und dein Vater. Alles, was du mir je erzählt hast, ist, daß er im Anschluß an den Afrikafeldzug nach Rußland mußte, jahrelang fortblieb und daß hinterher alle, die ihn kannten, gesagt hätten, er sei nicht mehr der Mann, als der er in den Krieg gezogen war. Aber mehr habe ich nie von dir erfahren. Und deine Mutter, wenn sie überhaupt mal davon sprach, sagte nie mehr, als daß er fünf Jahre fort gewesen sei.«
Die Nachwirkungen dieser fünf Jahre hatten Brunettis Kindheit schmerzlich überschattet, denn sein Vater neigte nach dem Krieg zu unmotivierten Wutausbrüchen. Eine zufällige Bemerkung, eine Geste, ein Buch, das auf dem Küchentisch lag: Jede Kleinigkeit konnte ihn in eine Raserei versetzen, gegen die nur Brunettis Mutter etwas auszurichten vermochte. Als ob sie mit den Heiligen im Bunde sei, gelang ihr das einfach dadurch, daß sie ihm die Hand auf den Arm legte: Selbst die kleinste Berührung genügte, um ihn aus egal welcher Hölle, in die er gestürzt war, zurückzuholen.
Abgesehen von diesen jähen Ausbrüchen war er ein ruhiger Mensch, sehr schweigsam und in sich gekehrt. Da er im Krieg mehrfach verwundet worden war, zahlte die Armee ihm eine Pension, mit der die Familie sich recht und schlecht über Wasser hielt. Brunetti hatte seinen Vater nie verstanden, ja ihn, seiner eigenen Mutter zufolge, nicht einmal richtig gekannt, denn sie betonte stets, der wahre Vater sei der Mann gewesen, als der er in den Krieg gezogen war; nicht der Heimkehrer, mit dem die Kinder aufwuchsen.
Desungeachtet gaben ihr die Gnade Gottes, die Macht der Liebe oder auch beide zusammen die Kraft, den einen wie den anderen zu lieben.
Nur einmal hatte Brunetti eine Vorstellung von dem Mann bekommen, der sein Vater früher offenbar gewesen war: an dem Tag, als er heimkam und verkündete, er sei als einziger aus seiner Klasse ins Liceo Classico aufgenommen worden. Als er es den Eltern erzählte, hin und her gerissen zwischen mühsam gebändigtem Stolz und der bangen Furcht, wie sein Vater die Neuigkeit aufnehmen würde, da stemmte der alte Brunetti sich vom Tisch hoch, wo er seiner Frau beim Erbsenauspulen half, trat neben seinen Sohn, legte ihm die Hand an die Wange und sagte: »Du hast wieder einen Mann aus mir gemacht, Guido. Ich danke dir.« Das Lächeln, das er ihm dabei schenkte, war wie ein Sterntalerregen, und zum ersten Mal schmolz Brunettis Herz vor Liebe zu diesem feinen und redlichen Mann.
»Hörst du mir zu, Guido?« Paolas Stimme holte ihn in ihr Arbeitszimmer und in die Gegenwart zurück.
»Ja, ja. Ich hab nur über was nachgedacht.«
»Du siehst also«, fuhr sie fort, als hätte es keine Unterbrechung gegeben, »ich weiß ebensowenig, was mein Vater getan hat, wie du es von deinem weißt. Sie sind in den Krieg gezogen, und als sie zurückkamen, wollte einer wie der andere nicht über das reden, was sie erlebt hatten.«
»Glaubst du, es war so schrecklich, was sie tun mußten?« »Oder was man ihnen angetan hat«, versetzte Paola.
»Trotzdem gab es einen Unterschied«, sagte er.
»Welchen?«
»Dein Vater entschied sich bewußt für die Resistenza; er hat das Exil verlassen, um hier für sein Land zu kämpfen. Jedenfalls sagt Lele, die Familie sei wohlbehalten nach England entkommen, also muß er aus eigenem Antrieb zurückgekehrt sein.«
»Und dein Vater?«
»Meine Mutter hat mir immer gesagt, er hätte nie zum Militär gewollt. Aber er hatte keine Wahl. Sie haben alle wehrfähigen Männer eingezogen, und kaum hatte man ihnen eingetrichtert, im Gleichschritt zu marschieren, ohne daß einer über den anderen stolperte, da schickte man sie schon in den Afrikafeldzug, nach Griechenland und Albanien und Rußland, ließ sie mit Schuhen aus Pappmache in den Krieg ziehen, weil der Freund eines Freundes von irgendwem in der Regierung an diesem Ausrüstungsvertrag ein Vermögen verdiente.«
»Und er hat wirklich nie darüber gesprochen?« fragte Paola.
»Mit mir nicht und mit Sergio auch nicht, nein«, sagte Brunetti.
»Glaubst du, er hat vielleicht mit seinen Freunden geredet?«
»Ich glaube nicht, daß
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