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Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima

Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima

Titel: Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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Aber auch wenn das Äußere sich verändert hatte, der Kern war gleichgeblieben: Der zuverlässige, ehrliche, kluge Vianello hatte sofort auf Brunettis Hilferuf reagiert, obwohl der ihn privat erreichte, eben im Begriff, den freien Tag zu einer Einkaufstour mit seiner Frau auf dem Festland zu nutzen. Brunetti war dankbar, daß Vianello so rasch gekommen war: Der selbstsichere, grundsolide stämmige Mann an seiner Seite würde ihm helfen, die bevorstehende Untersuchung durchzustehen.
    Vianello machte keinen Hehl daraus, daß er Brunettis Telefonat mit angehört hatte. »Ihre Frau hat die Tote gekannt, Commissario?«
    »Sie war eine ihrer Studentinnen«, erklärte Brunetti.
    Falls Vianello es merkwürdig fand, daß Brunetti das wußte, so behielt er es für sich. »Sollen wir hinaufgehen, Commissario?«
    Ein uniformierter Beamter stand vor dem Haus, ein anderer oben an der Treppe im zweiten Stock, direkt vor der offenen Wohnungstür. Ansonsten hätte das Gebäude, in dem noch drei Parteien wohnten, durchaus leer stehen können, so tief war das Schweigen, das durch die geschlossenen Türen drang. Doch er wußte von der Vermieterin, die die Polizei verständigt hatte, daß Claudias Mitbewohnerin sich in einer dieser Wohnungen aufhielt.
    Brunetti zögerte nicht auf der Schwelle, sondern betrat unverzüglich die Wohnung. Das erste, was er sah, war ihre Hand, deren Finger sich im Todeskampf in den Fransen am Saum eines dunkelroten Teppichs verkrallt hatten. Einem turkmenischen Läufer mit hexagonalen weißen Stammesmotiven auf leuchtend rotem Grund im Mittelfeld. Ein hübsches, geometrisches Muster; die stilisierten Blumen waren in dekorativen Reihen angeordnet, und an den Schmalseiten bildete eine weiße Streifenbordüre den Abschluß. Aber an einem Ende war das Muster durchbrochen, weil ihr Blut in den Teppich geflossen war und ein weißes Motiv mit einem Rot gefärbt hatte, das nur eine Spur heller war als das des Teppichgrunds. Brunetti sah, daß eine der Blumen ausgelöscht worden war; ausgelöscht von ihrem verlöschenden Leben.
    Sein Blick wanderte nach links, über ihren Hinterkopf und den weißen, schutzlos entblößten Hals. Sie lag vom Eingang abgewandt, also ging er, sorgfältig darauf achtend, wohin er trat, auf die andere Seite des Zimmers, von wo er ihr Gesicht sehen konnte. Auch das war bleich, wirkte aber seltsam entspannt. Es war nichts darin zu lesen, ein ausdrucksloses Antlitz, ganz wie das einer Schlafenden. Brunetti konnte sich des frommen Wunsches nicht erwehren, der Anschein möge nicht trügen.
    Suchend blickte er sich nach Kampfspuren um, fand aber keine. Ein Teller mit ein paar inzwischen angetrockneten und bräunlich verfärbten Apfelschnitzen stand in der Mitte eines niedrigen Tisches neben einem Sessel mit bedrucktem Bezug. Auf einer Seitenlehne lag, mit den aufgeschlagenen Seiten nach unten, ein aufgeklapptes Buch. Brunetti trat näher und las den Titel: Der Faustische Pakt. Doch er konnte nichts damit anfangen, ebensowenig wie mit der scheinbaren Gefaßtheit, mit der sie in den Tod gegangen war.
    »Das war kein Raubüberfall«, sagte Vianello.
    »Nein, sicher nicht«, stimmte Brunetti zu. »Aber was dann?«
    »Ein Beziehungsstreit?« schlug Vianello vor, obwohl er offensichtlich nicht daran glaubte. »Hier hatte keine Auseinandersetzung stattgefunden.«
    Brunetti ging zum Eingang und fragte den Beamten, der dort Wache stand: »Hat die Mitbewohnerin etwas über die Tür gesagt? War sie auf oder zu?« Er sah, daß der junge Mann sich beim Rasieren am Kinn geschnitten hatte, auch wenn er kaum alt genug schien, um sich rasieren zu müssen.
    »Das weiß ich nicht, Commissario. Als ich ankam, hatte eine Nachbarin das Mädchen schon nach unten gebracht.«
    Brunetti nickte verständnisvoll und fragte dann: »Und das Messer? Also, ich meine die Tatwaffe?«
    »Ich hab nichts gesehen, Commissario«, versetzte der Junge entschuldigend. »Vielleicht liegt es unter ihr.«
    »Ja, das könnte sein«, sagte Brunetti und wandte sich wieder Vianello zu. »Sehen wir uns mal in den anderen Räumen um.«
    Vianello schob die Hände in die Hosentaschen, und Brunetti tat es ihm nach. Beide hatten vergessen, Einweghandschuhe mitzubringen, aber sobald der Gerichtsmediziner kam, konnten sie sich von ihm welche borgen.
    Die zwei Schlafzimmer, Küche und Bad verrieten nichts weiter, als daß eins der Mädchen sehr viel ordentlicher sein mußte als das andere und außerdem eine Leseratte. Brunetti hatte wenig Zweifel,

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