Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima
so murmelte er nur ein begütigendes: » Certo, certo.«
Plötzlich spürte er, wie ihre dünnen Finger sein Handgelenk umklammerten. »Es ist die Wahrheit«, flüsterte sie mit leidenschaftlich gepreßter Stimme. »Als man ihm den Prozeß machte, da haben sie sich alle an die Richter gehängt und mit der Behauptung, er hätte sie um dies oder jenes betrogen, ihr angebliches Eigentum zurückgefordert.« Sie zerrte ungestüm an seiner Rechten und zog ihn näher zu sich heran, bis sein Gesicht nur noch eine Handbreit von dem ihren entfernt war. »Es waren lauter Lügen. Damals wie heute. All die Sachen gehören ihm, rechtmäßig. Das lasse ich mir von niemandem ausreden.« Brunetti spürte ihren Atem, der nach Tabak und schlechten Zähnen stank, und er sah etwas Wildes in ihren Augen flackern. »Luca wäre zu so etwas nicht fähig gewesen. Nie hätte er etwas Unehrenhaftes getan.« Plötzlich sprach sie in jenem getragenen Tonfall, der ihm verriet, daß sie das gleiche schon oft beteuert hatte, als ob es durch die Wiederholung wahr werden könnte.
Jede Gegenrede wäre sinnlos gewesen, also wartete er, auch wenn er behutsam zurückwich, wartete darauf, welche Verteidigung sie als nächstes auffahren würde.
Doch für Signora Jacobs war offenbar alles gesagt, denn sie griff nach einer neuen Zigarette, zündete sie an und paffte so hingebungsvoll, als sei der aufsteigende Rauch das einzig Interessante im Raum. Endlich, nachdem auch diese Zigarette in der Schale mit den Kippen gelandet war, sagte die alte Frau, ohne ihm das Gesicht zuzuwenden: »Sie können jetzt gehen, Commissario.«
19
A ls Brunetti auf dem Heimweg das Gespräch mit Signora Jacobs noch einmal überdachte, stieß er sich an dem Paradox, daß sie ungeachtet der trostlosen Erkenntnis, Guzzardi sei stets nur in sich selbst verliebt gewesen, immer noch mit solch unerschütterlicher Treue an ihm festhielt. Natürlich wußte er, daß die Liebe einem Menschen den Verstand rauben kann, manchmal sogar mehr als das, aber in der Regel verabreichte sie ihm auch das nötige Narkotikum, das ihn blind machte gegen die Widersprüche im eigenen Verhalten. Nicht so Signora Jacobs, die sich offenbar keinerlei Illusionen über ihren früheren Geliebten machte. Wie traurig, ebenso scharfsichtig wie hilflos gegenüber der eigenen Schwäche zu sein. Gewiß, Guzzardi war ein gutaussehender Mann gewesen, aber eher der Typ des geschniegelten Schönlings, wie man ihn heutzutage unter Zuhältern oder Frisören findet; allerdings konnte Brunetti den männlichen Idolen, die im Moment gefragt waren, diesen androgynen blonden Jünglingen, die als wandelnde Kleiderständer ihre verlängerte Pubertät auslebten, auch nichts abgewinnen.
Daß es sich bei Signora Jacobs um die große Liebe handelte, merkte man schon daran, wie lebhaft sie das Gespräch über Guzzardi gesucht und von Brunetti erwartet hatte, daß er seine Fotografie bewunderte, ein seltsames Ansinnen an einen Mann gegenüber einem Geschlechtsgenossen. Und dann: Wie schmerzbewegt sie von seinem Prozeß gesprochen hatte und von der Zeit - es mußte eine furchtbare Zeit gewesen sein - in San Servolo; und wie hart es sie, selbst nach all den Jahren, noch ankam, über seinen Tod zu sprechen.
Die Guzzardis hätten kein Talent dafür, in Frieden zu ruhen, hatte sie gesagt und sich damit insbesondere auf Luca Guzzardis Sohn bezogen. Doch dann hatte das Gespräch eine andere Wendung genommen, und Brunetti erfuhr nicht mehr, woran Benito gescheitert war. Aber wenn Guzzardi einen Sohn hatte, der später Claudias Vater wurde, dann mußte es auch eine Mutter geben. Claudia hatte gesagt, ihre Großmutter mütterlicherseits sei Deutsche gewesen, und von ihrer eigenen Mutter hatte sie in der Vergangenheitsform gesprochen. Lucia gegenüber hatte sie ihren Vater für tot erklärt. Signora Gallante wiederum hatte den Eindruck, daß Claudias Mutter noch am Leben sei, auch wenn das Mädchen von ihr gesprochen habe wie von einer Toten. Die Frau mochte heute irgendwo zwischen Ende Dreißig und Mitte Fünfzig sein und wer weiß wo leben, aber Brunetti wußte nur, daß sie Leonardo hieß, und das war wohl kaum ein deutscher Name.
Ungeduldig zählte er sich in Gedanken die vorhandenen Informationsquellen auf. Über Claudias Geburtsurkunde ließe sich herausfinden, in welchem Viertel ihre Mutter gewohnt hatte, als das Mädchen geboren wurde. Aber Claudia hatte keinen venezianischen Akzent, also war sie vielleicht auf dem Festland zur Welt
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