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Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima

Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima

Titel: Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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abenteuerlichen Zustände in den ersten Nachkriegsjahren gehört, um ihr abzunehmen, daß Guzzardi wegen dieser an den Haaren herbeigezogenen Formsache verurteilt worden war. Viele alte Rechnungen waren während des Krieges ans Licht gezerrt worden, und etliche davon wurden nach der Kapitulation Deutschlands gnadenlos beglichen. Vermutlich war es für die Richter ein leichtes gewesen, Guzzardi oder seinen Verteidiger zu überreden, ihr Angebot anzunehmen. Doch sobald man den Verurteilten in San Servolo eingeliefert hatte, hielten sie sich nicht mehr an ihr Versprechen.
    Er blickte zu der alten Frau hin und sah, daß sie eine Hand an die Lippen gepreßt hielt. »Als Claudia zu mir kam«, sagte er, »da wollte sie wissen, ob ein Urteil, das gleich nach dem Krieg gefällt worden sei, heute noch revidiert werden könne, und als ich mich nach Einzelheiten erkundigte, antwortete sie nur, es ginge um ihren Großvater, aber an Informationen hat sie mir nicht viel geliefert.« Er hielt inne, doch da sie sich nicht dazu äußerte, fuhr er fort: »Nach dem, was ich nun von Ihnen höre, kann ich mir schon eher ein Bild machen. Mein Jurastudium liegt schon lange zurück, Signora, aber der Fall scheint mir nicht sonderlich kompliziert. Ich halte es durchaus für denkbar, daß einer nachträglichen Revisionseingabe stattgegeben würde. Allerdings glaube ich nicht, daß man auf diesem Wege eine offizielle Unschuldserklärung erwirken könnte.«
    Sie hörte ihm aufmerksam zu, und er sah ihr an, daß sie seine Erklärung mit anderen Stellungnahmen verglich. Es dauerte lange, bis sie das Wort ergriff. »Sind Sie sich da ganz sicher? Daß es keine offizielle Rehabilitierung geben würde, irgendeine Zeremonie, die seine Ehre und seinen guten Namen wiederherstellt?«
    Nach dem, was Brunetti über Guzzardi gehört hatte, schien es unwahrscheinlich, daß er je viel Ehre besessen hatte, die zu retten sich lohnte, aber Hedi Jacobs war zu alt und zu gebrechlich, um ihr das zu sagen. »Signora, meines Wissens gibt es dafür keinerlei juristische Handhabe. Wer immer Ihnen Hoffnung auf dergleichen machte, war entweder falsch informiert oder hat Sie vorsätzlich irregeleitet.« Hier stockte Brunetti. Ganz gleich, wie lange die Revision eines Urteils, das vor einem halben Jahrhundert gefällt worden war, dauern mochte: Die alte Frau würde es gewiß nicht mehr erleben. Wenn Claudia versucht hatte, ihrer Großmutter zuliebe den Namen des Großvaters reinzuwaschen, dann war ihr Besuch bei Brunetti vergebens gewesen, aber das brauchte die alte Frau nicht zu erfahren.
    Hedi Jacobs wandte den Kopf nach der Fotogalerie. Lange Zeit ignorierte sie den Commissario und betrachtete statt dessen die Bilder auf der Anrichte. Sie preßte die schmalen Lippen zusammen, schloß die Augen und ließ den Kopf erschöpft auf die Brust fallen. Während sie so saßen, entschloß sich Brunetti, endlich das anzusprechen, was Guzzardis Sturz vom sicheren Thron des reichen Herrensöhnchens in die finsteren Tiefen von San Servolo herbeigeführt hatte. Als sie eine Hand vom Schoß nahm, fragte er geradeheraus: »Was ist aus den Zeichnungen geworden?«
    Signora Jacobs wollte eben nach der Zigarettenpackung greifen, doch er sah ihre Hand in der Bewegung innehalten. Überrascht blickte sie ihn an, schaute dann wie traumverloren auf ihre Hand, führte die Bewegung zu Ende und nahm sich eine Zigarette. »Was für Zeichnungen?« fragte sie scheinbar ahnungslos. Doch ihr Blick hatte Brunetti auf dieses Täuschungsmanöver vorbereitet.
    »Jemand hat mir erzählt, der Schweizer Konsul habe den Guzzardis diverse Zeichnungen überlassen.«
    »Sie meinen verkauft«, sagte sie mit Betonung auf dem Prädikat.
    »Wie Sie wollen«, räumte er ein und ließ es dabei bewenden.
    »Das war auch so etwas, das nach dem Krieg aufkam«, sagte sie, und es klang müde. »Leute, die ehedem Kunstwerke veräußert hatten, versuchten sie zurückzubekommen, indem sie behaupteten, sie wären zum Verkauf gezwungen worden. Ganze Sammlungen mußten von Leuten zurückgegeben werden, die sie in gutem Glauben erworben hatten.« Sie schaffte es, empört zu klingen.
    Brunetti bezweifelte nicht, daß derlei vorgekommen war, aber er hatte genug gelesen, um zu wissen, daß das größte Unrecht diejenigen erlitten hatten, die, sei es aus Ängstlichkeit oder unter direkter Bedrohung, ihren Besitz unter Wert veräußert oder gar abgetreten hatten. Allein, er sah keinen Sinn darin, das mit Signora Jacobs zu erörtern, und

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