Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima
ohne den Hauch eines Tadels in der Stimme.
»Ich weiß, ich weiß!« Elettra schürzte die Lippen und stieß einen entnervten Seufzer aus. »Aber die Versuchung ist zu groß. Jedesmal, wenn er hier reinkommt und mir Vorschriften machen will, möchte ich ihm am liebsten an die Gurgel springen.«
»Damit würden Sie sich nur Ärger machen«, mahnte er.
Sie zuckte wegwerfend mit den Schultern. »Das ist wie mit der berühmten zweiten Nachspeise. Man weiß, dass man darauf verzichten sollte, aber es schmeckt so gut, daß man einfach nicht widerstehen kann.«
Brunetti, der selbst oft genug mit dem Tenente aneinandergeraten war, hätte kaum diesen Vergleich gewählt, aber er war auch nicht so kämpferisch veranlagt wie Elettra, und so ließ er es durchgehen. Zumal jede aggressive Regung der Signorina ein erfreuliches Zeichen dafür war, daß sie ihren Optimismus wiederfand, so paradox das auch klingen mochte, wenn man sie nicht näher kannte. Darum beschränkte Brunetti sich auf die Frage, was sie über Guzzardi in Erfahrung gebracht habe.
»Ich sagte Ihnen doch, daß ich die Immobilien überprüft habe, die er bei seinem Tod hinterließ, nicht wahr?«
Er nickte.
»Tja, nur gehörten ihm die Häuser, als er starb, gar nicht mehr. Sie wurden Hedi Jacobs übereignet, während er im Gefängnis auf seinen Prozeß wartete.«
»Das wird ja immer interessanter«, sagte Brunetti. »Aber was heißt übereignet?«
»Verkauft. Es war alles ganz legal, die Papiere sind völlig in Ordnung.«
»Was ist mit seinem Testament?«
»Ich habe eine Kopie in der Notariatskammer gefunden.«
»Woher wußten Sie, wo Sie suchen mußten?«
Sie schenkte ihm ihr unschuldigstes Lächeln. »In dem gesamten Verfahren wird nur ein Notar aufgeführt«, sagte sie, aber sie sagte es ganz bescheiden.
»Filipetto?« fragte Brunetti.
Wieder dieses Lächeln.
»Er war Guzzardis Notar?«
»Das Testament wurde kurz nach Guzzardis Tod in Filipettos Notariatsliste aufgenommen«, erklärte sie, und der Stolz in ihrer Stimme ließ sich nicht länger unterdrücken. »Als Filipetto sich aus der Kanzlei zurückzog, gingen all seine Verträge an die Notariatskammer, wo ich auch Guzzardis Testament gefunden habe.« Sie zog die oberste Schublade ihres Schreibtischs auf und entnahm ihr die Fotokopie eines Dokuments, beschriftet mit den inzwischen archaisch anmutenden Lettern einer mechanischen Schreibmaschine.
Brunetti nahm das Blatt entgegen und ging damit zum Fenster, ans Tageslicht. Guzzardi hatte verfügt, daß sein gesamter Besitz in direkter Linie auf seinen Sohn Benito übergehen solle und, für den Fall, daß sein Sohn vor ihm stürbe, auf dessen Erben. Es hätte nicht einfacher sein können. Hedi Jacobs wurde mit keinem Wort erwähnt; ebensowenig waren die Bestandteile des Vermögens aufgeschlüsselt. »Seine Frau? Irgendein Hinweis darauf, daß sie dieses Testament angefochten hat?« fragte er und tippte auf das Blatt in seiner Hand.
»In Filipettos Akten gibt es keinen Beleg dafür.« Und ehe Brunetti nachfragen konnte, setzte sie hinzu: »Vielleicht waren sie geschieden, und die Frau wußte nicht oder kümmerte sich nicht darum, daß er gestorben war.«
Brunetti trat wieder zu ihr an den Schreibtisch. »Und der Sohn?«
»Über ihn habe ich nur das bestätigt gefunden, was man auch Ihnen bereits gesagt hat, Signore, nämlich daß seine Mutter ihn nach dem Krieg mit nach England nahm.«
»Sonst nichts?« Brunetti konnte nicht verhehlen, wie sehr es ihn irritierte, daß ein Mensch so einfach von der Bildfläche verschwand.
»Ich habe eine Anfrage nach Rom geschickt, aber alles, was ich dort angeben konnte, war sein Name. Wir haben ja nicht einmal das Geburtsdatum.«
Einen Moment lang überdachten beide resigniert die Chance, daß Rom sich zu einer Antwort bequemen würde. »Außerdem habe ich noch einen Freund in London kontaktiert«, fuhr Signorina Elettra fort, »und ihn gebeten, die dortigen Melderegister einzusehen. Wie es scheint, haben die Briten ein System, das funktioniert.«
»Wann können Sie mit einer Antwort rechnen?« fragte Brunetti.
»Auf jeden Fall lange bevor mit irgendwas aus Rom zu rechnen ist.«
»Ich möchte, daß Sie sich bei der Universität und beim Einwohnermeldeamt erkundigen, welche Informationen die über Claudia Leonardo haben. Die Namen ihrer Eltern und vielleicht auch deren Geburtsdaten sollten registriert sein. Die könnten Sie nach London durchgeben, vielleicht hilft das ja weiter.« Er dachte an die
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