Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima
sich aus diesen Betrachtungen und rief in der Questura an, wo er Vianello verlangte. Dem erklärte er in kurzen Worten, was geschehen war, bat ihn, ein Team zusammenzustellen und unverzüglich in die Wohnung zu kommen.
Als Vianello aufgelegt hatte, verschränkte Brunetti die Hände auf dem Rücken, eine Fernsehkrimipose, die ihm selber peinlich war, und begann sich in der Wohnung umzusehen. Er ging nach hinten, wo es außer dem Zimmer, in dem sie ihn empfangen hatte, nur noch ein Schlafzimmer sowie Küche und Bad gab. Letztere waren zu seiner Überraschung beide blitzsauber, was dafür sprach, daß die Signora irgend jemanden gehabt hatte, der zum Putzen kam.
An den Schlafzimmerwänden hingen Himmelskarten zuhauf und in allen Größen, schwarz gerahmt und allem Anschein nach sämtlich aus der gleichen Kollektion oder zumindest aus der Werkstatt ein und desselben Bilderrahmers. Einige Karten waren in Pastelltönen koloriert, andere original schwarzweiß belassen. Er knipste das Licht an, um sie besser in Augenschein nehmen zu können. Von Kniehöhe an bis einen Meter unter der sehr hohen Decke pflasterten sie die Wände in ungeordneter Reihung. Er erkannte eine Sternkarte von Cellarius, zählte die Blätter darüber und darunter und stellte fest, daß es zwei komplette Serien waren. Nur ein Experte hätte ihren tatsächlichen Marktwert beziffern können, aber Brunetti war sicher, daß es Hunderte von Millionen Lire waren. Die Möblierung war dagegen spärlich: ein hoher armadio, ein klösterlich schmales Bett, daneben ein Nachttisch mit Leselampe, einem Tablett mit Arzneifläschchen und Wasserglas sowie einem Buch: einer deutschen Bibel, wie sich herausstellte, als Brunetti nahe genug herantrat, um den Titel lesen zu können. Vor dem Bett lag ein abgetretener Seidenteppich, und ein Paar Pantoffeln war sorgsam unter den Saum des Bettüberwurfs geschoben. Nichts deutete darauf hin, daß die Signora in diesem Zimmer geraucht hatte. Im Schrank hingen nur zwei lange Röcke und ein wollenes Umhängetuch.
Zurück im Wohnzimmer brach Brunetti mittels einer Kreditkarte erst die unterste Schreibtischlade auf, arbeitete sich anschließend von Fach zu Fach nach oben und besah sich, ohne indes etwas anzurühren, den Inhalt. Eine Schublade enthielt, fein säuberlich sortiert, etliche Stapel Rechnungen, eine andere Fotoalben, die der Größe nach übereinanderlagen, die oberste weitere Rechnungen und ein paar Zeitungsausschnitte.
Als Brunetti sich abschließend im Zimmer umsah, wußte er nicht, ob er es spartanisch nennen sollte oder klösterlich.
Er ging zurück in die Küche und schaute in den Kühlschrank. Ein Liter Milch, ein Stück Butter in einem Glasbehälter mit Deckel, ein Kanten Brot. Die Schränke waren ebenso karg bestückt: ein Glas Honig, etwas Salz, Margarine, Teebeutel und eine Dose mit gemahlenem Kaffee. Entweder hatte die Frau so gut wie nichts gegessen, oder die Mahlzeiten wurden ihr ebenso ins Haus gebracht wie ihre Zigaretten.
Im Bad fand er ein Plastikdöschen für ihr Gebiß, ein flanellenes Nachthemd, das hinter der Tür hing, ein paar Toilettenartikel und in einem Arzneischränkchen vier Tablettenpackungen. Als er wieder ins Wohnzimmer kam, kehrte er der Toten tunlichst den Rücken, wohl wissend, daß ihm die Spurensicherung den näheren Anblick nicht ersparen würde.
Er stellte sich mit dem Rücken ans Fenster und versuchte zu entschlüsseln, was er vor sich sah. Der Wert der Kunstwerke im Raum bewegte sich mit Sicherheit in Milliardenhöhe, ja vielleicht war der Cézanne, der ihm gegenüber links von der Türe hing, allein schon soviel wert. Er suchte die Wände nach einem helleren Rechteck ab, das auf ein kürzlich entferntes Bild hätte schließen lassen. Kein Dieb, ganz gleich wie ungebildet, konnte den Wert der Kunstwerke in diesem Raum verkennen; allein, es gab kein Indiz dafür, daß irgend etwas fehlte, ebensowenig wie einen Hinweis darauf, daß Signora Jacobs an etwas anderem als einem Herzinfarkt gestorben war.
Er wußte aus langer Erfahrung, daß es ein Fehler war, mit vorgefaßten Meinungen an eine Ermittlung heranzugehen; es war eine der größten Gefahren, vor denen er jeden Neuling warnte. Und doch stand er nun hier, bereit, alle Indizien, ganz gleich wie überzeugend, zurückzuweisen, die auf eine natürliche Todesursache oder auf einen Unfall hindeuteten. Er spürte es in den Knochen, sein innerer Radar, ja seine Seele argwöhnten, daß Signora Jacobs ermordet worden war, und obwohl
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