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Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima

Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima

Titel: Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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in der Nähe der Tür.
    »Ja, Signore, ich bin gekommen, um Ihnen noch ein paar Fragen bezüglich des Mädchens zu stellen«, sagte Brunetti, als er auf dem angebotenen Stuhl Platz genommen hatte.
    »Mädchen?« fragte Filipetto scheinbar verwirrt. Doch Brunetti durchschaute sein Spiel.
    »Ja, Signore, Claudia Leonardo.«
    Filipetto sah zu ihm auf und blinzelte ein paarmal. »Leonardo?« wiederholte er. »Ist das jemand, den ich kenne?«
    »Das wollte ich Sie fragen, Signore. Vor ein paar Tagen war ich ihretwegen schon einmal hier, und da sagten Sie, Sie hätten nie von ihr gehört.«
    »Stimmt«, sagte Filipetto mit hörbarer Gereiztheit in der Stimme. »Der Name sagt mir gar nichts.«
    »Sind Sie da ganz sicher, Signore?« fragte Brunetti höflich.
    »Natürlich bin ich sicher«, beharrte Filipetto. »Wieso zweifeln Sie an meinem Wort?«
    »Ich zweifle nicht an Ihrem Wort, Signore; ich erlaube mir lediglich, die Genauigkeit Ihres Gedächtnisses in Frage zu stellen.«
    »Und was soll das heißen?« konterte der Alte.
    »Nichts weiter, Signore, nur, daß wir manchmal Dinge vergessen, jeder von uns.«
    »Ich bin ein alter Mann...«, begann Filipetto, doch dann stockte er, und Brunetti konnte zusehen, wie sich der Alte vor seinen Augen verwandelte. Er sackte in seinem Sessel zusammen; sein Mund klappte auf, und eine Hand tastete auf der Schreibtischplatte nach der anderen. »Also ich erinnere mich nicht an alles«, sagte Filipetto mit einer Stimme, die plötzlich hoch und schrill klang: eine greinende Greisenstimme.
    Brunetti fühlte sich wie der Hund des Odysseus, der als einziger die Maskerade seines Herrn durchschaute. Hätte er nicht mit angesehen, wie Filipetto sich absichtlich in einen hinfälligen Greis verwandelte - sein Mitgefühl hätte ihn daran gehindert, weitere Fragen zu stellen. So aber war sein Mißtrauen geweckt, und er hütete sich, die Telecomliste zu erwähnen.
    Er strengte sich gewaltig an, ein Lächeln zustande zu bringen, das ebenso herzlich wie vertrauensselig wirken sollte, und fragte höflich: »Dann könnte es also sein, daß Sie sie doch gekannt haben, Signore?«
    Filipetto wedelte mit matter Hand durch die Luft. »Oh, mag sein, mag sein. Ich behalte nicht mehr sehr viel.« Er hob den Kopf und rief der Frau an der Tür zu: »Eleonora, kannte ich eine gewisse...« Und als ob die Frau Claudias Namen nicht sehr gut hätte mithören können, wandte er sich an Brunetti mit der Frage: »Wie sagten Sie doch gleich, daß sie hieß?«
    »Claudia Leonardo«, soufflierte Brunetti gleichmütig.
    Die Antwort der Frau ließ lange auf sich warten. Endlich sagte sie: »Ja, ich glaube, der Name kommt mir bekannt vor, aber ich kann mich nicht erinnern, woher.« Das war alles; sie erkundigte sich nicht einmal, wer diese Claudia sei.
    Sosehr es ihn auch wurmte, daß der schlaue Fuchs ihn ausgetrickst hatte: die Art, wie Filipetto aus seinem Alter und seiner scheinbaren Gebrechlichkeit Kapital geschlagen hatte, nötigte Brunetti doch eine gewisse Bewunderung ab. Die Telefonprotokolle konnten jetzt nicht mehr bewirken, als sein Greisengedächtnis zu der Erinnerung zu bewegen, daß, ja, ja, nun da Brunetti es erwähne: Vielleicht habe er mit einem jungen Mädchen gesprochen, aber er könne sich nicht erinnern, worüber.
    Brunetti sah ein, daß es seine Niederlage nicht schmälern würde, wenn er bliebe und die Befragung fortsetzte. Also stützte er die Hände auf die Knie und stemmte sich aus dem Sitz hoch. Über den Schreibtisch gebeugt, schüttelte er Filipetto die Hand und sagte: »Danke für Ihre Hilfe, Notaio. Und verzeihen Sie, daß ich Sie mit dieser Sache behelligen mußte.« Filipettos Händedruck war tatsächlich schwächer geworden; seine Rechte fühlte sich so dürr an wie eine Handvoll trockener Spaghetti. Die Stimme des Alten versagte offenbar ganz, und er konnte dem Commissario nur noch stumm zunicken.
    Brunetti wandte sich zur Tür, und die Frau trat beiseite, um ihn vorbeizulassen. Am Ende des Flurs, kurz vor der Wohnungstür, blieb er stehen und sagte ohne Umschweife: »Darf ich fragen, in welcher Beziehung Sie zu Dottor Filipetto stehen?«
    Sie sah ihn lange und fest an und antwortete: »Ich bin seine Tochter.«
    Brunetti bedankte sich, bot ihr jedoch nicht die Hand, als er ging.

21
    B runetti, der seinen Mutmaßungen über den Mord an Signora Jacobs erst nachgehen konnte, wenn Rizzardis Bericht vorlag, fühlte sich unschlüssig und ohne rechte Antriebskraft. Weder wollte er zurück ins Büro,

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