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Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle

Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle

Titel: Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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sinnlos wäre, jetzt noch länger in ihn zu dringen. Zugleich wußte er aber auch, daß er wiederkommen und Moro dieselben Fragen stellen würde, sobald der Doktor Zeit gehabt hatte, den ersten Schmerz zu überwinden. Seit er vom Tode des Jungen erfahren hatte, beschäftigte ihn die Frage, ob Moro wohl noch andere Kinder hatte, doch er traute sich nicht, danach zu fragen. Jeder Versuch, sich an Moros Stelle zu versetzen und ermessen zu wollen, welchen Trost er in einem solchen Fall aus dem Überleben eines seiner beiden Kinder schöpfen würde, schlug fehl: Sein Bewußtsein verweigerte sich dieser entsetzlichen Vorstellung. Oder vielmehr ergriff eine Kraft, die weit stärker war als herkömmliche Tabus, von ihm Besitz und betäubte seinen Verstand. Ohne daß er es gewagt hätte, Moro die Hand zu bieten oder noch etwas zu sagen, verließ Brunetti die Wohnung.
    Vom Anleger Salute fuhr er mit der Linie eins nach San Zaccaria und ging von dort zu Fuß zurück zur Questura. Unterwegs purzelten ihm, von der Ponte dei Greci her, ein paar Teenager, drei Jungen und zwei Mädchen, entgegen, die untergehakt und mit ausgelassenem Gelächter auf ihn zusteuerten. Brunetti blieb mitten auf der calle stehen, um diese Woge überschäumender Jugendlichkeit über sich hinwegrauschen zu lassen. Allein, die Woge teilte sich, wie einst das Rote Meer, und rauschte rechts und links an ihm vorbei. Brunetti war sicher, daß die jungen Leute ihn ihrerseits gar nicht richtig wahrgenommen hatten; er war nur ein Hindernis, das es zu umrunden galt.
    Jedes der Mädchen hielt eine Zigarette in der Hand, was Brunetti normalerweise immer in Versuchung brachte, an die Betreffenden zu appellieren, daß sie, sofern ihnen Gesundheit und Wohlergehen am Herzen lägen, doch das Rauchen aufgeben sollten. Diesmal aber flößte ihm, als er sich umdrehte und ihnen nachblickte, die strahlende Jugend und Lebensfreude des Quintetts eine fast andächtige Ergriffenheit ein.
    Als er sein Büro betrat, hatte sich diese Empfindung wieder verflüchtigt. Auf dem Schreibtisch erwartete ihn das erste der vielen Formulare, die bei einem Suizid immer anfielen. Er machte sich nicht die Mühe, es auszufüllen; ohnehin konnte er über das weitere Vorgehen erst entscheiden, wenn Venturis Bericht eingegangen war.
    Er telefonierte hinunter in den Bereitschaftsraum, aber weder Vianello noch Pucetti waren an ihrem Platz. Als nächstes rief er Signorina Elettra an und bat sie, alle ihr zur Verfügung stehenden Quellen, offizielle wie inoffizielle, nach Informationen über Fernando Moros Laufbahn als Arzt und Parlamentarier zu durchforsten. Elettra erklärte, sie habe bereits damit angefangen, und versprach ihm erste Ergebnisse noch am selben Tag.
    Der Gedanke an die Mittagspause verstimmte den Commissario heute: Essen erschien ihm auf einmal als nebensächlicher Luxus. Gleichwohl verspürte er eine quälende Sehnsucht nach seiner Familie. Aber da er wußte, daß er Frau und Kindern in seiner augenblicklichen Verfassung vor lauter Betulichkeit nur auf die Nerven gehen würde, rief er Paola an und sagte, er könne nicht zum Mittagessen kommen. Ein unerwarteter Zwischenfall, er werde in der Questura aufgehalten, und ja, ja, er würde etwas essen und abends zur gewohnten Zeit daheim sein.
    »Hoffentlich ist es nicht zu schlimm.« Paolas Tonfall gab ihm zu verstehen, daß sie seinen Gemütszustand erraten hatte und er nicht länger den Unbefangenen zu spielen brauchte.
    »Nein, nein. Dann bis heute abend«, versetzte er und konnte sich einfach nicht dazu durchringen, ihr zu erzählen, was passiert war, »Gib den Kindern einen Kuß von mir«, sagte er noch, bevor er auflegte.
    Ein paar Minuten saß er grübelnd am Schreibtisch, dann zog er eine Akte zu sich heran und sah sie durch. Er las Wort für Wort, verstand jedes einzelne und war doch nicht sicher, ob er den Zusammenhang begriff. Er schob den Ordner beiseite, nahm ihn sich dann noch einmal vor und las den Schriftsatz aufs neue durch. Diesmal ergaben die Sätze einen Sinn, auch wenn er sich nicht vorstellen konnte, wieso irgend jemand ihre Botschaft wichtig nehmen sollte.
    Brunetti trat ans Fenster und betrachtete die Kräne, die getreulich über der Kirche Wache standen und an die geplante Restaurierung erinnerten, die immer noch nicht begonnen hatte. Irgendwo hatte er gelesen oder jemand hatte ihm erzählt, wieviel die Stadt täglich für die untätigen Kräne zahlen mußte, die die leere Hülle des Opernhauses überragten. Wohin

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