Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle
verständigt?«
»Weiß ich noch nicht. Auf den Polizeibericht warte ich ja gerade.«
»Und die Signora? Wo ist sie jetzt?« fragte Brunetti.
»Auch das versuche ich noch herauszukriegen.«
»Demnach ist sie nicht bei ihrem Mann?«
»Sieht nicht so aus. Ich habe die Computerdateien der Comune durchgesehen, doch da ist sie nicht unter der Adresse ihres Mannes gemeldet, obwohl beide Ehepartner als Wohnungseigentümer eingetragen sind.« Brunetti hatte sich mittlerweile so an ihre nützlichen kriminellen Aktivitäten gewöhnt, daß er ohne schlechtes Gewissen darüber hinwegsah, daß man als gesetzestreuer Bürger ihr »durchgesehen« mit »geknackt« hätte übersetzen müssen.
Dafür, daß Moros Frau nicht unter seiner Adresse in Dorsoduro gemeldet war, konnte es mehrere Erklärungen geben, aber es lag wohl doch nahe anzunehmen, daß sie nicht mehr mit ihrem Mann zusammenlebte. »Geben Sie mir Bescheid, sobald Sie den Polizeibericht über diesen Jagdunfall haben, ja?« bat Brunetti und hoffte, ihr damit kein Stichwort für eine neuerliche Attacke gegen das Weidwerk zu liefern. Er selbst interessierte sich, wie die meisten Venezianer, nicht für die Jägerei, einen in seinen Augen teuren unbequemen und übermäßig lauten Sport. Im übrigen hatte er sowohl bei seinen Ermittlungen als auch bei den Verhaltensstudien, die er so gern betrieb, allzuoft eine beängstigende Übereinstimmung zwischen Waffennarren und Männern mit Potenzproblemen festgestellt.
»Es könnte auch eine Warnung gewesen sein«, erklärte Signorina Elettra unvermittelt.
»Ich weiß«, versetzte er prompt, denn das war sein erster Gedanke gewesen, als sie ihm von dem Jagdunfall berichtet hatte. »Fragt sich nur: Wovor?«
7
S keptisch, wie er mit den Jahren geworden war, konnte Brunetti sich nicht vorstellen, daß es bei Signora Moros Unfall mit rechten Dingen zugegangen war. Bestimmt hatte sie geschrieen, als sie angeschossen wurde, und ihr Schreien hätte mit Sicherheit die Jäger auf den Plan gerufen. Er hielt zwar nicht viel von dieser Zunft, aber daß sie eine verletzte Frau einfach in ihrem Blut würden liegen lassen, das traute er ihnen denn doch nicht zu. Wem aber war so etwas zuzutrauen? Und zu was für Grausamkeiten mochte so ein Mensch noch fähig sein?
In diesem Zusammenhang fiel Brunetti wieder ein, wie plötzlich und unerwartet Moro vor zwei Jahren von seinen politischen Ämtern zurückgetreten war. Für die Launen des Zufalls galten in der Regel drei Grundkonstellationen: Unterschiedliche Personen hatten das gleiche Erlebnis; ein und derselben Person stießen allerlei unglaubliche Dinge zu; mehrere merkwürdige Ereignisse fielen zeitlich zusammen. Moro hatte seinen Parlamentssitz etwa um die Zeit aufgegeben, als seine Frau verletzt wurde. Normalerweise würde das keinen Verdacht erregen, nicht einmal bei einem so mißtrauischen Beobachter wie Brunetti. Seit nun aber noch der Tod des Sohnes hinzukam, konnte er nicht umhin, sich zu fragen, in welcher Beziehung das dritte Ereignis zu den beiden anderen stand.
Brunettis Verhältnis zum Parlament war am ehesten demjenigen vergleichbar, das die meisten Italiener zu ihrer Schwiegermutter hatten. Der war man zwar nicht durch Blutsbande verpflichtet, dennoch forderte sie Achtung und Gehorsam, selbst wenn sie durch ihr Verhalten beides nicht im mindesten verdiente. Diese fremde Person, die sich ganz willkürlich in das Leben eines Mannes drängte, stellte immer höhere Ansprüche und pochte dabei auf ebenjenen häuslichen Frieden, den sie ihm vergällte. Widerstand war zwecklos, denn jedes kleine Aufbegehren wurde mit den hinterhältigsten Racheakten geahndet.
Brunetti griff zum Telefon und wählte seine Privatnummer. Als sich nach viermaligem Klingeln der Anrufbeantworter einschaltete und er seine eigene Stimme hörte, legte er auf, bückte sich und holte das Telefonbuch aus der untersten Schreibtischschublade. Er blätterte bis zum P und ging die Einträge Seite für Seite durch, bis er auf Perulli, Augusto stieß. Dann schob er das Buch ins Fach zurück und wählte die Nummer.
Nach dem dritten Klingeln meldete sich eine Männerstimme. »Perulli.«
»Brunetti hier. Ich muß dich sprechen.«
Nach einer langen Pause meinte der Mann am anderen Ende: »Ich war schon auf deinen Anruf gefaßt.«
Brunetti fiel dazu nur ein verlegenes »Ach ja?« ein.
»In einer halben Stunde hätte ich Zeit für dich. Eine Stunde. Ansonsten morgen.«
»Ich komme gleich«, sagte Brunetti.
Mit dem
Weitere Kostenlose Bücher