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Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle

Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle

Titel: Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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nächsten Tagen hatte Brunetti kaum Zeit, sich der Familie Moro und ihrem Leid zu widmen, denn es gab wieder einmal Ärger mit dem Casinò. Diesmal freilich ging es nicht um eine der raffinierten Absprachen, wie sie nicht selten zwischen Gästen und Croupiers getroffen wurden, sondern die Ermittlungen richteten sich direkt gegen die Kasinoleitung, die im Verdacht stand, sich auf Kosten des Gemeinwohls bereichert zu haben. Brunetti war einer der wenigen Venezianer, denen noch bewußt war, daß die Spielbank der Stadt gehörte und folglich jeder Diebstahl oder jede Unterschlagung von Kasinoeinnahmen unmittelbar die Hilfsfonds schädigte, die zur Unterstützung von Witwen und Waisen bestimmt waren. Daß Menschen, die ihr Leben unter Zockern und Falschspielern zubrachten, keinen Respekt vor fremdem Eigentum hatten, überraschte Brunetti nicht; was ihn gelegentlich dennoch erstaunte, war die Unverfrorenheit dieser Leute. Die trat auch jetzt wieder zutage, als nämlich herauskam, daß das Management der Säle, die das Kasino für Bankette und private Festlichkeiten vermietete, sowie der hauseigenen Bars still und heimlich einer Servicefirma übertragen worden war, die zufällig vorn Bruder des Kasinodirektors geleitet wurde.
    Da die Kriminalbeamten, die im Casinò die Spieltische kontrollieren sollten, um unerkannt zu bleiben, von auswärts angefordert werden mußten und da es nicht leicht war, Angestellte zu finden, die bereit waren, gegen ihre korrupten Chefs und Kollegen auszusagen, zogen die Ermittlungen sich über Gebühr in die Länge und verzögerten die Bearbeitung anderer, nicht minder dringlicher Fälle. Wie dem von Ernesto Moro, wo die Indizienlage mittlerweile immer mehr für einen Selbstmord sprach. Das kriminaltechnische Labor hatte weder in der Duschkabine noch im Zimmer des Jungen irgendwelche Hinweise auf Fremdeinwirkung gefunden, und die Befragung von Lehrern und Mitschülern ergab nichts, was die Selbstmordtheorie hätte erschüttern können. Und wenn Brunetti sich dadurch auch nicht von seiner Überzeugung abbringen ließ, so beherzigte er immerhin die Lektion aus früheren Fällen, bei denen seine Ungeduld sich negativ auf die Ermittlungen ausgewirkt hatte: Diesmal würden Gelassenheit und Gleichmut seine Losung sein.
    Der Richter, der das Verfahren gegen die Kasinobetreiber leitete, stand kurz davor, Haftbefehle für den gesamten Aufsichtsrat auszustellen, als das Büro des Bürgermeisters die Versetzung des Kasinodirektors auf einen Posten in der Stadtverwaltung sowie die Beförderung seiner persönlichen Assistenten in hochrangige Positionen anderer städtischer Behörden bekanntgab. Ferner wurden den beiden Kronzeugen der Anklage leitende Stellen im neustrukturierten Kasino angeboten, woraufhin beide zu der Einsicht gelangten, daß ihre frühere Sicht der Dinge wohl doch eine falsche gewesen war. Die Polizei, der ihr Fall unter den Händen zerrann, zog sich zurück, und die auswärtigen Beamten wurden wieder nach Hause geschickt.
    Im Zuge dieser überraschenden Wende wurde Brunetti zum Vice-Questore zitiert, der ihm wegen ungebührlicher Aggressivität gegenüber der Kasinoleitung Vorhaltungen machte.
    Da Brunetti jedoch das Verhalten der Beschuldigten allenfalls milde mißbilligt hatte - er war bei Vermögensdelikten immer relativ großzügig -, wirkten Pattas hitzige Worte auf ihn nicht stärker als ein Frühlingsregen auf einen gut bewässerten Acker.
    Erst als sein Vorgesetzter auf die Familie Moro zu sprechen kam, gab er acht auf das, was Patta sagte. »Tenente Scarpa hat mir berichtet, der Junge galt schon seit längerem als labil, also brauchen wir keine Zeit mit weiteren Ermittlungen zu verschwenden. Ich denke, wir können den Fall abschließen.«
    »Bei wem, Signore?« fragte Brunetti höflich.
    »Wie bitte?«
    »Bei wem galt der Junge als labil?«
    Pattas Reaktion zeigte deutlich, daß er es nicht für nötig befunden hatte, diese Frage zu stellen. Scarpas Behauptung genügte ihm vollauf.
    »Nun, vermutlich doch bei seinen Lehrern. Mitschülern. Seinen Freunden«, schusterte Patta rasch eine Liste zusammen. »Eben bei den Zeugen, die der Tenente vernommen hat. Warum fragen Sie?«
    »Reine Neugier, Signore. Ich wußte gar nicht, daß der Tenente sich für den Fall interessiert.«
    »Von Interesse war auch nicht die Rede.« Patta machte kein Hehl aus seinem Verdruß über diesen neuerlichen Beweis für Brunettis Unvermögen - hinter dem der ViceQuestore indes heimliche Insubordination

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