Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle

Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle

Titel: Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
Vom Netzwerk:
stehen sie sicher in seinem Bericht.« Brunetti beugte sich ein wenig vor, als erwarte er, daß der ViceQuestore ihm nun gleich Scarpas schriftliches Protokoll herüberreichen würde.
    »Er hat mir seinen Bericht mündlich vorgetragen.«
    »Aber ohne Namen zu nennen?« fragte Brunetti.
    »Soweit ich mich erinnern kann, ja.«
    »Wissen Sie zufällig, ob er ein schriftliches Protokoll nachgereicht hat, Vice-Questore?«
    »Wohl kaum, nachdem er mich ja persönlich unterrichtet hatte«, sagte Patta.
    »Natürlich.«
    »Was soll das denn heißen?« fragte Patta, wieder ganz der alte, in scharfem Ton.
    Brunetti lächelte verbindlich. »Nur daß es ganz natürlich ist, wenn für den Tenente mit dem Rapport bei seinem Vorgesetzten der Fall erledigt war.« Der Commissario ließ diesen Satz lange nachwirken. Dann fragte er mit einer Miene, die er einem Tenor in der Rolle des Narren aus Boris Godunow abgeschaut hatte: »Wie soll es nun weitergehen, Signore?«
    Er fürchtete schon, er hätte den Bogen überspannt, aber Pattas Antwort zerstreute seine Bedenken. »Man sollte sich noch einmal vergewissern, ob die Eltern sich mit dem Fazit ›Selbstmord‹ zufriedengeben.« Die Ungeniertheit, mit der Patta kundtat, daß ihn die Wahrheit nicht im geringsten interessierte, war einfach atemberaubend.
    »Vielleicht«, schlug Brunetti scheinheilig vor, »sollte der Tenente mit den Eltern reden?«
    Nun hatte er Patta wirklich erschreckt. »Nein, nein, das übernehmen besser Sie. Schließlich haben Sie bereits mit den Moros gesprochen, und ich nehme an, man hat Sie als mitfühlend in Erinnerung.« Nie hatte diese Eigenschaft so nach einem Charakterfehler geklungen als in dem Augenblick, da Patta sie seinem Commissario zuschrieb. Der Vice-Questore überlegte laut weiter. »Ja, gehen Sie hin, reden Sie mit den Leuten, und wirken Sie auf sie ein. Sie werden das schon machen. Sobald wir die Moros überzeugt haben, daß es Selbstmord war, können wir den Fall abschließen.«
    »Und uns wieder um das Kasino kümmern?« Die Frage konnte Brunetti sich nicht verkneifen.
    Pattas Blick senkte nicht nur die Temperatur im Raum, er rückte auch Brunetti auf merkliche Distanz. »Ich denke, die Stadt hat hinlänglich bewiesen, daß sie dieses Problem aus eigener Kraft bewältigen kann.« Pattas gedrechselte Antwort weckte in Brunetti, übrigens nicht zum ersten Mal, den Verdacht, daß sein Vorgesetzter vielleicht doch nicht so beschränkt war, wie er es sich gern einredete.
    Oben in seinem Zimmer kramte er so lange in den Papieren auf seinem Schreibtisch, bis er den schmalen Ordner mit den Unterlagen zum Tod Ernesto Moros gefunden hatte. Er suchte die Telefonnummer des Vaters heraus und wählte. Nach sechsmaligem Läuten meldete sich eine Männerstimme mit dem Familiennamen.
    »Dottor Moro«, sagte Brunetti, »hier spricht Commissario Guido Brunetti. Ich würde mich gern noch einmal mit Ihnen unterhalten, wenn das möglich ist.« Und als Moro nicht antwortete, fragte er in das Schweigen hinein: »Könnten Sie mir sagen, um welche Zeit es Ihnen paßt?«
    Er hörte den Mann am anderen Ende seufzen. »Ich habe doch deutlich erklärt, daß ich Ihnen nichts zu sagen habe, Commissario.« Seine Stimme klang ruhig und ganz und gar ausdruckslos.
    »Ja, Dottore, ich weiß, und ich entschuldige mich für die Störung, aber ich brauche dringend ein paar Auskünfte von Ihnen.«
    »Dringend?«
    »Ich denke schon, ja.«
    »Wir brauchen sehr wenig in diesem Leben, Commissario. Haben Sie darüber schon einmal nachgedacht?« fragte Moro so ernsthaft, als sei er bereit, den Rest des Nachmittags darüber zu diskutieren.
    »Ja, schon oft, Signore. Und ich gebe Ihnen recht.«
    Da überraschte der Arzt ihn mit der Frage: »Haben Sie Ivan Ilych gelesen?«
    »Den Autor oder die Novelle von Tolstoi, Dottore?«
    Brunettis Antwort hatte nun offenbar Moro in Erstaunen versetzt, denn es entstand eine lange Pause, bevor der Doktor sagte: »Die Novelle.«
    »Ja, sogar mehrmals.«
    Wieder seufzte der Arzt, dann blieb es fast eine volle Minute still in der Leitung. »Kommen Sie um vier, Commissario«, sagte Moro und legte auf.
    Obwohl er es sich kaum zutraute, beiden Eltern am selben Tag gegenüberzutreten, gab Brunetti sich einen Ruck und rief gleich anschließend bei Signora Moro an. Er ließ es einmal klingeln, unterbrach die Verbindung und drückte dann die Wahlwiederholungstaste. Zu seiner Erleichterung nahm niemand ab. Er hatte keine Nachforschungen über den Verbleib der Eltern

Weitere Kostenlose Bücher