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Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle

Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle

Titel: Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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sich.
    In der Mitte des Wohnzimmers, in das Signora oder Signorina Della Vedova ihn führte, stand ein Zeichentisch, dessen Höhe so eingestellt war, daß der Rollstuhl bequem darunterpaßte. Auf dem Tisch stapelten sich Aquarelle von Brücken und Kanälen in jenen fluoreszierenden Farben, die bei den Touristen offenbar besonders gut ankamen. Die drei Kirchenansichten - von San Zaccaria, San Martino und San Giovanni in Bragora -, die an der rückwärtigen Wand hingen, zeichneten sich durch eine architektonische Detailtreue aus, die den Bildern auf dem Zeichentisch gänzlich fehlte. Und die gedämpften Farben eigneten sich vortrefflich dazu, den warmen Glanz der Steine und das Lichterspiel auf dem Kanal vor San Martino und an den Fassaden der beiden anderen Kirchen einzufangen.
    Die junge Frau schwenkte ihren Rollstuhl herum und sah, wie Brunetti die Zeichnungen an der Wand betrachtete.
    »Das ist mein eigentliches Metier«, sagte sie und fügte mit einer abschätzigen Geste zu den Aquarellen auf dem Tisch hinzu: »Und für das da werde ich bezahlt.« Dann beugte sie sich zu der Katze hinunter und flüsterte ihr ins Ohr: »Wir müssen schließlich dafür sorgen, daß dir dein Whiskas nicht ausgeht, oder, Dickerchen?«
    Die Katze erhob sich gravitätisch auf ihrem Schoß und sprang mit einem Plumps, den man sicher noch unten im Hausflur hören konnte, zu Boden. Dann stolzierte sie mit steil erhobenem Schwanz aus dem Zimmer. Die Frau sah lächelnd zu Brunetti auf. »Ich weiß nie, ob es ihn kränkt, wenn ich auf sein Gewicht anspiele, oder ob er einfach nicht für diese Klecksereien verantwortlich gemacht werden mag.« Sie ließ diese Erklärung einen Moment nachwirken und setzte dann, immer noch lächelnd, hinzu:
    »Gerechtfertigt wäre eins wie das andere, meinen Sie nicht auch?«
    Brunetti erwiderte ihr Lächeln, und sie bat ihn, Platz zu nehmen. Als er sich gesetzt hatte, rollte sie ihren Stuhl herum, bis sie ihm gegenübersaß. Er schätzte sie auf Ende Zwanzig, obwohl die grauen Strähnen in ihrem Haar und die senkrechten Falten zwischen den Brauen sie älter erscheinen ließen. Ihre Augen hatten die Farbe von hellem Bernstein, die Nase war, gemessen an den übrigen Gesichtszügen, ein wenig zu lang und der Mund so weich und entspannt, daß er sich ganz fremd ausnahm in diesem Antlitz, auf dem Brunetti eine leidvolle Geschichte zu lesen glaubte.
    »Sie sagten, Sie kommen wegen Signora Moro?« erkundigte sie sich.
    »Ja, ich hätte sie gern gesprochen. Ich habe mehrmals versucht anzurufen, sie aber nie erreicht. Als ich das letzte Mal mit ihr sprach, da -«
    »Wann war das?« unterbrach sie ihn.
    »Vor ein paar Tagen. Und sie sagte nichts davon, daß sie vorhätte zu verreisen.«
    »Nein, das sähe ihr nicht ähnlich. Ich meine, daß sie so was erwähnen würde.«
    Brunetti nickte und fuhr fort: »Ich hatte auch nicht das Gefühl, daß ...« Er stockte, unsicher, wie er sich ausdrücken sollte. »Also ich hatte nicht den Eindruck, als gäbe es irgendeinen Ort, wo es sie hinziehen könnte.«
    Signora oder Signorina Della Vedova maß ihn mit neu erwachtem Interesse. »Warum sagen Sie das?«
    »Ich weiß nicht. Ich hatte nur ganz stark das Gefühl, daß sie hierhergehörte und kein Verlangen danach hatte fortzugehen.«
    Als Brunetti offenbar nicht weiterwußte, sagte sie: »Gab es auch nicht. Ich meine, einen Ort, wo es sie hingezogen hätte.«
    »Kennen Sie die Signora gut?«
    »Nein, eigentlich nicht. Sie wohnt noch keine zwei Jahre hier.«
    »Seit dem Unfall?« fragte Brunetti.
    Sie sah ihn scharf an, und ihr eben noch so freundliches Gesicht wirkte auf einmal streng und verschlossen. »Das«, sagte sie und schnippte mit den Fingern der rechten Hand über ihren Schoß zu den Beinen hin, die nutzlos im Stuhl ruhten, »das war ein Unfall. Was Federica zugestoßen ist, war keiner.«
    Brunetti unterdrückte jeden Kommentar, der sich angeboten hätte, und fragte nur ganz ruhig: »Wissen Sie das genau?«
    »Natürlich nicht«, entgegnete sie, und ihre Stimme klang wieder gefaßt. »Ich war ja nicht dabei und habe nicht gesehen, was passiert ist. Aber die beiden Male, die Federica davon gesprochen hat, begann sie mit den Worten: ›Als sie auf mich geschossen haben ...‹ So redet man nicht, wenn es sich um einen Unfall handelt.«
    Brunetti zweifelte nicht daran, daß diese Frau sehr genau wußte, wie ein Unfallopfer sich ausdrückte. »Und das hat sie zweimal gesagt?«
    »Soweit ich mich erinnern kann, ja. Aber nur so im

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