Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle
Elettra sich in die Rolle einfand; er sah sie geradezu vor sich, wie sie abends nach einer anstrengenden Shoppingtour heimwärts eilte, um nachzusehen, ob die Köchin auch echten basilico genovese für den Pesto bekommen hatte. Gerade als die Sekretärin der Hoffnung Ausdruck gab, die Schule möge die Erwartungen Filibertos und seiner Eltern erfüllen, stieß Signorina Elettra hervor: »Ach, ja, eine letzte Frage noch. Es läßt sich doch einrichten, daß unser Sohn zu Hause schläft, nicht wahr?«
»Verzeihen Sie, Signora«, erwiderte die Sekretärin, »aber wir sind ein Internat, also wohnen die Schüler auch bei uns. Die Kosten dafür sind in den Schulgebühren enthalten. Wo sollte Ihr Sohn sonst wohnen?«
»Natürlich hier bei uns im Palazzo. Sie können doch nicht erwarten, daß er mit all diesen anderen Jungen zusammenlebt, oder? Er ist schließlich erst sechzehn.« Hätte die Sekretärin ihr eine Blutspende abverlangt - das Entsetzen der Bankiersgattin wäre kaum größer gewesen. »Selbstverständlich werden wir die Gebühren in voller Höhe zahlen, aber es ist undenkbar, ein Kind in dem Alter von seiner Mutter zu trennen.«
»Ah«, flötete die Sekretärin, sobald sie erfreut den ersten Teil von Signorina Elettras Erklärung zur Kenntnis genommen hatte - die zweite Hälfte überging sie elegant. »In einigen wenigen Fällen läßt sich vielleicht, mit Zustimmung des Comandante, eine Ausnahme machen. Allerdings müssen die Schüler morgens um acht pünktlich zur ersten Stunde erscheinen.«
»Dafür haben wir ja unsere Motorjacht!« erklärte Signorina Elettra und lieferte sich damit selbst die Vorlage für ihren letzten Volley, der in dem Versprechen gipfelte, die unterschriebenen Papiere baldigst abzuschicken und die vorgeschriebene Kaution bis Ende der Woche einzuzahlen. Danach folgte beiderseits eine höfliche Verabschiedung.
Brunetti ertappte sich bei einem ganz ungewohnten Gefühl: Er empfand plötzlich Mitleid mit Vice-Questore Patta - der arme Mann hatte nicht die geringste Chance. »Filiberto?« fragte er.
»Den Namen hat sein Vater ausgesucht«, antwortete Signorina Elettra.
»Und Ihre Wahl? Eustasio?«
»Nein, Eriprando.«
17
M it der Auskunft, daß es im Ermessen des Comandante lag, die Schulordnung in Ausnahmefällen zu umgehen, erfuhr Brunetti nichts, was er nicht schon vermutet hätte: Wo die Kinder der Reichen und Mächtigen versammelt waren, wurden Vorschriften oft frei ausgelegt, um den ausgefallenen Wünschen der Eltern entgegenzukommen. Was er nicht wußte, war, wie weit die Kulanz des Comandante reichte. Und auch bei der Frage, wie das alles mit Ernesto Moros Tod zusammenhängen mochte, tappte er noch im dunkeln.
Da er mit seinen Überlegungen nicht weiterkam, wählte Brunetti kurz entschlossen Signora Moros Nummer. Doch wieder läutete das Telefon ins Leere. Einer Eingebung folgend, der er sich kurz entschlossen beugte, beschloß er, einfach bei ihr vorbeizuschauen. Vielleicht konnte ihm ja einer der Nachbarn sagen, wo sie zu finden sei.
Er nahm das Vaporetto bis San Marco und ging von dort zurück zu der Gasse, in der Signora Moro wohnte. An der Haustür läutete er, wartete und läutete wieder. Dann klingelte er bei der Wohnung links daneben, wartete und arbeitete sich in der Folge von einer Klingel zur nächsten abwärts, wie ein Kletterer, der sich an einer Klippe hinunterhangelt. Die erste Antwort kam aus einer Wohnung im ersten Stock, deren Klingelschild den Namen Della Vedova trug. Eine Frauenstimme meldete sich, und als Brunetti erklärte, er sei von der Polizei und müsse Signora Moro sprechen, sprang die Tür mit einem Klicken auf. Gleich darauf ging in dem schummrigen Flur das Licht an, und eine Frau rief von oben: »Hier herauf, Signore.«
Im Treppenhaus bemerkte Brunetti am Geländer eine Vorrichtung für Rollstuhlfahrer, die ihm beim letzten Mal nicht aufgefallen war. Die Erklärung dafür wartete gleich hinter der Wohnungstür im ersten Stock: eine junge Frau in einem Rollstuhl mit einer riesigen grauen Katze auf dem Schoß. Lächelnd blickte sie ihm entgegen, schob die Katze zur Seite und streckte ihm die Hand hin. »Beatrice Della Vedova«, sagte sie. »Freut mich, Sie kennenzulernen.«
Nachdem Brunetti sich mit Namen und Dienstgrad vorgestellt hatte, packte sie mit beiden Händen die Räder ihres Stuhls, drehte ihn geschickt um die eigene Achse und rollte sich mit kräftigen Stößen in die Wohnung zurück. Brunetti folgte ihr und schloß die Tür hinter
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