Brunetti 13 - Beweise, daß es böse ist
noch einmal ins Gebet nehmen und herausfinden, warum sie ihre Geschichte erfunden hat.« Hier hob sie Scarpa mit übertrieben respektvoller Geste die Hände entgegen und schloß zaghaft: »Natürlich nur, wenn Sie glauben, daß es etwas nützen würde, Tenente.« Brunettis Blick fiel auf ihre ungewohnt schlichte weiße Baumwollbluse: Vielleicht lag es ja an dem hochgeschlossenen Kragen, daß sie heute so unschuldig wirkte.
Ein Schatten huschte über Scarpas Gesicht und bezeugte sein tief verwurzeltes Mißtrauen gegenüber Signorina Elettra, aber bevor er etwas sagen konnte, nahm Brunetti das Wort. »Schauen Sie nicht mich an, Signorina. Ich stekke mitten in der Flughafensache, mir bleibt keine Zeit für solche Mätzchen.« Und er wandte sich zum Gehen.
Brunettis Sträuben erreichte, was Signorina Elettras Werben nicht gelungen war: Scarpa ließ sich aus der Reserve locken. »Mir wird sie garantiert immer wieder dieselbe Geschichte auftischen«, brummte er.
Es war eine Feststellung, keine Bitte, und so blieb Brunetti denn fest. »Ich muß mich um den Flughafen kümmern«, sagte er, schon auf dem Weg zur Tür.
Das reichte, um Scarpa den entscheidenden Stoß zu versetzen. »Wenn diese Frau in einem Mordfall lügt, dann ist das wichtiger als so ein läppischer Diebstahl am Flughafen.«
Brunetti blieb kurz vor der Tür stehen und wandte sich nach Signorina Elettra um, die ihm mit einem resignierten Seufzer zunickte. »Ich glaube, der Tenente hat recht, Commissario.«
Brunetti, das wandelnde Ebenbild eines leidgeprüften, sorgengeplagten Mannes, versetzte vielleicht eine Spur zu schicksalsergeben: »Also gut, aber ich will in nichts hineingezogen werden. Wo ist sie?«
So kam sein Gespräch mit Signora Gismondi zustande, und alles, was er dabei erfuhr, schien Signorina Elettra recht zu geben. Denn Brunetti zweifelte nicht daran, daß die Aussage dieser späten Zeugin der Wahrheit entsprach.
Als der Commissario wieder in Signorina Elettras Büro hinunterkam, telefonierte sie gerade. Doch sie hob die Hand und reckte zwei Finger in die Höhe, zum Zeichen, daß es nur noch einen Moment dauern würde. Mit gesenktem Kopf machte sie sich ein paar Notizen, sagte: »Besten Dank«, und legte auf.
»Wie ist denn das zugegangen?« fragte er und deutete mit dem Kinn auf die Stelle, wo Tenente Scarpa gestanden hatte.
»Erkenne deinen Feind«, antwortete sie lapidar.
»Und was heißt das?« fragte er.
»Scarpa haßt Sie, aber gegen mich ist er nur wahnsinnig mißtrauisch. Also brauchte ich ihm bloß die Chance zu bieten, Ihnen scheinbar gegen Ihren Willen diese Vernehmung aufzuzwingen, und schon besiegte der Wunsch, Sie zu schikanieren, sein Mißtrauen gegen mich.«
»Bei Ihnen hört sich das so einfach an wie das kleine Einmaleins«, sagte er.
»Zuckerbrot und Peitsche«, versetzte sie lächelnd. »Ich lockte ihn mit Zuckerbrot, und er dachte, er könne es in eine Peitsche verwandeln und Sie damit treffen.« Dann wurde sie plötzlich ernst. »Was hat die Frau denn nun gesagt?«
»Daß sie die Rumänin zum Bahnhof gebracht, ihr eine Fahrkarte nach Bukarest gekauft und sich dann von ihr verabschiedet hätte.«
»Wie lange vor Abfahrt des Zuges?« fragte Signorina Elettra prompt.
Brunetti rechnete es ihr hoch an, daß auch sie den Schwachpunkt in Signora Gismondis Geschichte sofort erkannt hatte. »Ungefähr eine Stunde vorher.«
»In der Zeitung stand, der Mord geschah in der Nähe vom Palazzo del Cammello.«
»Stimmt.«
»Dann wäre der Frau reichlich Zeit geblieben, nicht wahr?«
»Ja.«
»Und?«
»Warum hätte sie die Alte töten sollen?« fragte er. »Diese Zeugin, Assunta Gismondi, sagt, sie habe der Rumänin ungefähr siebenhundert Euro geschenkt«, begann Brunetti, und als er sah, wie Signorina Elettra die Stirn runzelte, setzte er hinzu: »Und ich glaube ihr. Sie ist impulsiv, diese Signora Gismondi, und ich denke, sehr großzügig.« Tatsächlich war er überzeugt, daß es genau diese Eigenschaften waren, die sie heute morgen in die Questura geführt hatten, diese beiden und ihre Ehrlichkeit.
Signorina Elettra schob ihren Stuhl zurück und schlug die Beine übereinander. Sie trug einen kurzen roten Rock und so hohe Pumps, daß sie damit selbst über das schlimmste acqua, alta hätte hinwegstöckeln können.
»Wollen Sie mir eine ungebührliche Frage gestatten, Commissario?« begann sie und fuhr, als er zustimmend nickte, fort: »Lassen Sie sich da von Ihrem Kopf oder von Ihrem Herzen leiten?«
Er
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