Brunetti 13 - Beweise, daß es böse ist
Florinda Ghiorghiu bei sich geführt hatte. Wenn der gefälscht war, wie lautete dann der wirkliche Name jener Frau, die man in Villa Opicina beigesetzt hatte? Nicht einmal das wußte er, denn der Bericht machte keine näheren Angaben über die Grabstätte. Das Paßfoto zeigte eine Frau mit dunklem Haar und dunklen Augen, die bar jeden Lächelns so furchtsam in die Kamera starrte, als könne die ihr etwas antun. Was ja auch indirekt zutraf: Über das Foto war sie an den Paß gelangt, durch den an ihre Arbeitsstelle, und als sie die verlor, kam es zu der Festnahme im Zug und ihrer todbringenden Flucht über die Schienen.
Als nächstes folgten Fotokopien von Florinda Ghiorghius Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis, deren Angaben sich mit den Daten im Paß deckten. Man hatte ihr einen sechsmonatigen Aufenthalt in Italien genehmigt, aber der Einreisestempel im Paß war über ein Jahr alt. Signora Gismondi hatte ausgesagt, Flori sei im späten Frühling zu Signora Battestini gekommen: blieben acht oder neun Monate offen.
Damit endete das Dossier. Es gab weder Aufschluß darüber, wie Florinda Ghiorghiu die Stelle bei Signora Battestini bekommen hatte, noch enthielt es Lohnquittungen von Arbeitgeber oder Arbeitnehmer. Was Brunetti nicht weiter verwunderte; die meisten dieser Frauen, die überwiegend aus Osteuropa oder von den Philippinen stammten, arbeiteten schwarz - zumal diejenigen, die sich als Pflegerinnen um die ständig wachsende Zahl alter Menschen kümmerten.
Kurz entschlossen nahm er die Akte und ging damit nach unten, wohl wissend, daß das, was er vorhatte, alles andere als professionell war. Doch als er Signorina Elettras Büro betrat, sah sie ihm so unbefangen entgegen, als ob sie ihn schon erwartet hätte.
»Ich habe die Einträge im Ufficio Stranieri für das Veneto überprüft«, begann sie und setzte eilig hinzu: »Keine Angst, das war ganz legal. Wir haben die Daten alle hier in unserem Computer.«
Ohne darauf einzugehen, fragte er: »Und was haben Sie herausgefunden?«
»Daß Florinda Ghiorghiu eine makellos rechtsgültige Arbeitserlaubnis besaß«, sagte sie, lächelte dabei aber so verheißungsvoll, daß er unwillkürlich nachhakte.
»Und weiter?«
»Der auf ihren Namen ausgestellte Paß wurde noch von drei anderen Frauen benutzt.«
»Wie bitte?«
»Drei«, wiederholte sie. »Eine hier in Venedig, eine in Mailand und eine in Triest.«
»Aber das ist doch unmöglich.«
»Sollte man meinen«, räumte sie ein. »Aber es ist nun mal Tatsache.« Bevor er fragen konnte, ob es sich um ein und dieselbe Frau handle, die sich in verschiedenen Städten um Arbeit beworben hatte, erklärte sie: »Eine von ihnen nahm eine Stelle in Triest an, während die hier gemeldete bei Signora Battestini arbeitete.«
»Und die dritte?«
»Weiß ich noch nicht. Ich habe Probleme mit Mailand.«
Statt um Auflösung dieses Rätsels zu bitten, fragte er: »Gibt es denn dafür keine Zentralkartei oder wenigstens eine übergeordnete Behörde?«
»Im Prinzip schon«, bestätigte sie, »aber die Provinzen sind nicht untereinander vernetzt. Und unser Archiv erfaßt außer Venedig nur noch das Veneto.«
»Wie haben Sie's dann überhaupt herausbekommen?« fragte er gespannt, aber ohne Skrupel vor der Rechtmäßigkeit ihrer Methoden.
Nach reiflicher Überlegung antwortete sie: »Ich glaube, das sage ich Ihnen lieber nicht, Commissario. Das heißt, es wäre ein leichtes, eine technisch so komplizierte Antwort zu erfinden, daß Sie nichts damit anfangen könnten, doch ich gehe lieber den ehrlichen Weg und sage Ihnen klipp und klar, daß ich darüber nicht sprechen möchte.«
»In Ordnung«, versetzte Brunetti, wohl wissend, daß sie recht hatte. »Aber Sie sind sich doch sicher?«
Sie nickte. Und als hätte sie seine Gedanken gelesen, sagte sie: »Die Fingerabdrücke.« Eine Anspielung auf die großspurigen Pläne der Regierung, binnen fünf Jahren die Fingerabdrücke aller Bewohner des Landes, Italiener wie Zuwanderer, komplett in einer Zentraldatei zu erfassen. Brunetti hatte gelacht, als er das erste Mal von diesem Vorhaben hörte: Die Bahn kann ihre Züge nicht auf den Schienen halten, Schulen stürzen beim leisesten Erdbeben ein, drei Leute können denselben Paß benutzen - und die da oben wollen über fünfzig Millionen Fingerabdrücke katalogisieren.
Ein englischer Freund des Commissario hatte einmal behauptet, das Leben in Italien sei nicht viel anders als das in einer loony bin. Und obwohl Brunetti damals keine
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