Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas
verlangen, daß er sich an jedes Gespräch mit seinen Untergebenen erinnere. Weder Patta noch irgendein Gericht würde ein Ermittlungsverfahren genehmigen, das auf einem so eklatanten Mangel an Beweisen fußte.
Inwieweit die Untersuchungen über die Zerstörung der Lagune Fasanos politischen Ambitionen schaden würden, wagte Brunetti nicht vorauszusagen. Es war schon geraume Zeit her, daß die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung oder der Nachweis krimineller Machenschaften den Aufstieg in ein politisches Amt verhindert hatte, und so war es durchaus denkbar, daß die Mehrheit der Wahlberechtigten Fasano zu ihrem Bürgermeister küren würden. Sollte es soweit kommen, empfahl es sich für Brunetti, seinen Trost in Pattas Katzenjammer zu suchen und sich ansonsten an den Rat zu halten, den Paola von ihrer jüngsten Jane-Austen-Lektüre an ihn weitergereicht hatte: Spar dir den Atem fürs Teekühlen. Im übrigen würde Patta einen Bürgermeister namens Fasano weit eher in Kauf nehmen als den Skandal und das Medienecho um die Mordanklage gegen einen wohlhabenden und mächtigen Mann, der mit noch viel Reicheren und Mächtigeren im Bunde war.
Angesichts solcher Aussichten überkam Brunetti ein unbezwinglicher Drang, der Questura zu entfliehen. Selbst wenn er nur auf einen Kaffee in die Bar an der Ecke ginge, würde er doch wenigstens die Sonne auf dem Gesicht spüren und vielleicht über den Kanal hinweg einen Hauch von Flieder erhaschen. Denn es war ja, trotz allem, immer noch Frühling.
Brunetti schnupperte tatsächlich Fliederduft, obwohl er sich noch innerhalb der Questura befand. Signorina Elettra gesellte sich auf der Treppe zu ihm. Sie trug eine Bluse, an die er sich nicht erinnern konnte: Auf cremefarbenem Seidengrund wetteiferten pinkfarbene und tiefrote Rispen miteinander, doch den Sieg trug Elettras Geschmack davon.
»Ah, Commissario«, sagte sie, als er ihr die Tür aufhielt, »ich fürchte, ich habe schlechte Nachrichten für Sie.«
Ihr Lächeln strafte ihre Worte Lügen, und so fragte Brunetti heiter: »Was gibt's denn?«
»Sie sind leider leer ausgegangen in der Lotterie.«
»Lotterie?« echote Brunetti, benommen vom Fliederduft und dem lauen Lüftchen, das ihnen entgegenwehte, als sie ins Freie traten.
»Der Vice-Questore hat Antwort von Interpol bekommen.« Sie knipste ihr Lächeln aus und sagte: »Leider wurde er nicht auf den Posten in London berufen.«
Sie waren am Kanalufer stehengeblieben, und das Sonnenlicht, das auf den Wellen tanzte, spiegelte sich in ihren Gesichtern. »Ein Verlust für die Briten«, sagte Brunetti in angemessen ernstem Ton.
Worauf Signorina Elettra entgegnete, sie sei sicher, daß der Vice-Questore es mannhaft tragen werde, und in entgegengesetzter Richtung davonstöckelte.
Brunetti hob den Kopf und sah Foa, der an Deck seines Bootes stand und Elettra mit den Blicken folgte. Als sie um die Ecke entschwand, wandte Foa sich dem Commissario zu: »Kann ich Sie irgendwohin bringen, Dottore?«
»Nicht im Dienst?« fragte Brunetti.
»Erst ab zwei. Da muß ich den Vice-Questore von Harry's Bar abholen.«
Ein langgezogenes »Ah« bekundete Brunettis Anerkennung für Pattas trefflichen Geschmack. »Und bis dahin?«
»Sollte ich vermutlich hierbleiben und mich in Bereitschaft halten«, gestand der Bootsführer lustlos. »Aber lieber wär's mir, ich dürfte Sie irgendwohin fahren. Es ist so ein schöner Tag.«
Brunetti schirmte mit der Hand die Augen vor der Frühlingssonne ab. »Ja, da haben Sie recht«, sagte er, schon ganz unter dem verderblichen Einfluß von Foas Abenteuerlust. »Wie wäre es mit dem Canal Grande?« schlug er aufs Geratewohl vor.
Als sie an Harry's Bar vorbeikamen, wo Patta mit einer vermutlich hochrangigen Persönlichkeit saß, bemerkte Brunetti, daß die Gärten zu beiden Seiten des Kanals wieder zum Leben erwachten. Krokusse versuchten sich unter immergrünen Sträuchern zu verbergen; Narzissen waren weniger schamhaft; die ersten Magnolienknospen würden in einer Woche aufspringen; mit ein bißchen Regen sogar schon früher.
Er sah die Plakette an dem Haus, in dem Lord Byron gewohnt hatte, ein Mann, der, wie der junge Brunetti, in diesen Fluten geschwommen war. Aus und vorbei.
»Möchten Sie nach Sacca Serenella?« fragte Foa mit einem Blick zur Uhr. »Die Zeit reicht grade für ein Mittagessen drüben und zurück.«
»Danke, Foa, aber ich glaube nicht, daß ich dort noch mal hinfahre. Zumindest nicht beruflich.«
»Ja, ich hab davon
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