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Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas

Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas

Titel: Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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Zwar setzten jetzt im Frühling allerorten Bäume und Pflanzen zur Blüte an, aber dieser Geruch hatte weder etwas Blumiges, noch glich er dem satten, Fruchtbarkeit verströmenden Erdaroma nach einem langen Winterschlaf, wenn die Natur sich fleißig selbst erneuerte und zu sprießen begann; obwohl man ihn, wenn überhaupt, eher mit letzterem verglichen hätte.
    Brunetti sah sich suchend um, ob vielleicht irgendeine Chemikalie oder ein Farbstoff verschüttet worden seien, aber es war eigentlich auch keine chemische Ausdünstung. Er ging auf den ersten Ofen zu und spürte im Näherkommen den plötzlichen Temperaturanstieg sogar durch die geschlossene Tür. Der Hitzeschwall trieb ihn nach links, in den Bereich zwischen erstem und zweitem Ofen, wo die Temperatur so jäh wieder sank, daß ihn der abrupte Wechsel nach der glühenden Hitze im Umkreis des ersten Ofens fast frösteln machte.
    Als er sich dem zweiten näherte, sprang ihn die Hitze von neuem an, fuhr ihm über Arm und Bein und ins Gesicht, als wolle sie ihn in Brand setzen. Instinktiv schirmte er mit einer Hand die Augen ab und flüchtete ins Kühle.
    Die offene Tür des freistehenden forno di lavoro zog Brunetti magisch an. Ja, er konnte den Blick nicht von dem infernalischen Feuerschlund wenden, bis ihm von der Hitze die Augen trocken wurden, so daß er blinzeln mußte und sich wieder an einen kühleren Platz zurückzog. Der Geruch war hier wesentlich stärker.
    Brunetti schaute sich um, spähte nach rechts und links, konnte aber immer noch nichts Auffälliges entdecken. Also wandte er sich wieder dem offenen Schmelzofen zu und den prasselnden Flammen, deren Hitze ihm entgegenschlug. Inzwischen war es nicht mehr so dunkel in der Halle: Vielleicht hatten die Wolken sich gelichtet, oder der Wind hatte sie vertrieben. Außerdem war wohl gerade die Sonne über den Dächern aufgegangen, denn durch die Fenster an der Ostseite drang mit den ersten Strahlen plötzlich helles Licht herein.
    Auf einmal entdeckte Brunetti vor dem Ofen, kaum mehr als zwei Meter entfernt, einen Schatten. Wieder hob er die Hand vors Gesicht, diesmal um das allzu grelle Licht abzublenden und erkennen zu können, was es mit dem Schatten auf sich hatte. Aber der gleißende Feuerschein drang zwischen seinen Fingern hindurch und zwang ihn, die andere Hand dazuzunehmen, um den Schutzschild zu vergrößern. Und dann, im ersten Morgenlicht, sah er es. Ein Mann, ein großer Mann, lag vor dem dritten Schmelzofen am Boden. Brunetti wandte sich ab, und sein Blick fiel auf die Thermometer, die in einer Reihe an der Wand hingen. Forno iii brachte es auf 1342 Grad Celsius, während die Temperatur der beiden anderen Öfen weniger als die Hälfte dessen betrug. Brunetti mußte noch ein Stück zurückweichen, denn selbst hier fiel ihn die Hitze an und drohte ihn zu rösten.
    Der Geruch. Dieser elende Geruch. Brunetti fiel vornüber und brach in die Knie wie ein gefällter Stier. Er stemmte die Handflächen auf den brandheißen Boden und spuckte krampfhaft Galle, während der süßliche Gestank sich in seinen Kleidern, in den Haaren festsetzte.
    So fand ihn Minuten später der maestro. Er half ihm auf und stützte ihn auf dem Weg ins Freie. Draußen ließ er Brunettis Arm nach ein paar Metern los und trat beiseite, als der Commissario sich abermals übergeben mußte. Der maestro wandte sich unterdessen dem Kanal zu und betrachtete angelegentlich ein vorbeifahrendes Boot.
    Brunetti kramte sein Taschentuch heraus und wischte sich den Mund sauber. Dann versuchte er, sich aufzurichten, aber es dauerte eine volle Minute, bis er dem maestro wieder gegenübertreten konnte.
    »Haben Sie ihn gefunden?« fragte er mit schwacher Stimme.
    »Nein, das war Colussi, mein servente. Er kommt morgens gegen fünf und kontrolliert die Öfen, die Schmelzmasse und die Werkstücke, die über Nacht gehärtet werden.«
    Brunetti nickte, und der maestro fuhr fort. »Colussi rief mich zu Hause an, aber ich wurde nicht klug aus dem, was er sagte. Er schrie immerzu: ›Tassini ist tot, Tassini ist tot!‹
    Schließlich befahl ich ihm, draußen auf mich zu warten. Dann habe ich die Polizei verständigt und bin hergekommen, so schnell ich konnte.« Als Brunetti nichts erwiderte, ergänzte der maestro, wie zu seiner Rechtfertigung: »Sie haben ja gesehen, in welchem Zustand Colussi ist. Ich mußte ihn nach Hause bringen.«
    »Wo können wir was zu trinken bekommen?« fragte Brunetti.
    Der maestro sah auf seine Uhr. »Drüben, hinter der

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