Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas
Wellen, die noch Minuten später gegen die Stufen der Palazzi zu beiden Seiten des Kanals schwappen würden.
Brunetti erkannte Foa an Deck und hob grüßend die Hand.
Der Bootsführer steuerte auf den Landungssteg zu, legte den Rückwärtsgang ein und manövrierte die Barkasse so geschickt, daß der Rumpf sich mit einer Berührung, sanft wie ein Kuß, an den Anleger schmiegte. Brunetti ging an Bord, wünschte Foa einen guten Morgen und nannte ihm das Fahrtziel: die Glasbläserei De Cal auf Sacca Serenella.
Wie die meisten seiner Zunft verfügte auch Paolo Foa über die Tugend des Schweigens und nickte nur zum Zeichen, daß er Brunettis Order verstanden habe. Offenbar verspürte er kein Bedürfnis, die Fahrtzeit mit Worten zu überbrücken. Dennoch war, sobald sie sich dem Rialto näherten und mit ihm den breiten Lastkähnen, die den Markt belieferten, die frühmorgendliche Stille nur noch Erinnerung. Gleich hinter dem Palazzo, in dem eine entfernte Ahnfrau Paolas gelebt hatte, bis sie wegen Hochverrats geköpft wurde, bog Foa in den Rio dei SS. Apostoli ein. Und dann schossen sie hinaus in die Lagune, wo Brunetti in dunstiger Ferne als erstes die Mauern des Friedhofs erspähte, hinter dem eine Wolkenbank hochstieg und auf die Stadt zusegelte.
Entschlossen wechselte der Commissario die Blickrichtung und wandte sich gen Murano. Frühlingswarme Lüfte wehten ihm entgegen, während das Boot die Insel umrundete und nach rechts in den Canale Serenella einschwenkte. Seiner Uhr nach war es noch nicht ganz sechs. Foa legte wieder eine butterweiche Landung hin, und Brunetti betrat den Bootssteg der öffentlichen Verkehrsbetriebe ACTV.
»Sie können gleich wieder umkehren«, sagte er zu Foa. »Und schönen Dank auch.«
»Wäre es Ihnen recht, wenn ich irgendwo einen Kaffee trinke und danach auf Sie warte, Commissario?« fragte Foa. Er bot keine Erklärung dafür an, warum es ihn nicht zurück zur Questura zog, aber Brunetti hatte nicht den Eindruck, daß er sich vor der Arbeit drücken wollte.
»Ich mache Ihnen einen anderen Vorschlag«, entgegnete Brunetti. »Rufen Sie Vianello an, und dann holen Sie ihn zu Hause ab und bringen ihn her.« Er selbst war anfangs so schlaftrunken gewesen, daß er keinen klaren Gedanken fassen konnte, und dann hatte er vor lauter Ärger über den schwerfälligen Alvise vergessen, Vianello zu verständigen. Aber er hätte den Inspektor doch lieber dabeigehabt.
Foa dankte lächelnd und tippte sich an die Mütze. Mit ein paar flinken Handgriffen wendete er in scharfem Bogen und jagte auch schon nach wenigen Längen den Motor hoch, so daß der Bug steil aus dem Wasser ragte, während Foa Kurs auf die Stadt nahm.
Brunetti überquerte das unbebaute Gelände hinter dem Uferweg und folgte dann dem betonierten Sträßchen, das zur Fornace De Cal hinaufführte. »Maria Vergine!« rief er laut, als ihm einfiel, daß er Alvise nicht aufgetragen hatte, die Spurensicherung herzuschicken. Über sein telefonino rief er die Questura an; es dauerte ein paar Minuten, bis er von der Zentrale erfuhr, daß doch ein kriminaltechnisches Team angefordert worden sei: Man warte nur noch auf die Fotografen, und sobald die zur Stelle seien, könnten sie aufbrechen.
Brunetti war gespannt, wie lange es dauern würde, bis die Kollegen auf Murano eintrafen. Er setzte seinen Weg fort; im Näherkommen bemerkte er vor dem Tor zur Schmelzwerkstatt zwei Männer. Sie standen Seite an Seite, aber weder sprachen sie miteinander, noch machte es den Eindruck, als hätte sein Erscheinen eine laufende Unterhaltung gestört.
In einem der beiden erkannte Brunetti den maestro, dem er beim Modellieren einer Vase zugesehen hatte - war das wirklich nur zwei Tage her? Erst jetzt, aus nächster Nähe, bemerkte Brunetti die tiefen Aknenarben auf seinen Wangen. Der andere Mann mochte einer von denen sein, die dem maestro zugearbeitet hatten.
Die beiden nahmen Brunetti ihrerseits ins Visier, ja, ließen ihn nicht aus den Augen. Aber keinem war anzumerken, ob er ihn wiedererkannte. Auf gleicher Höhe angekommen, stellte Brunetti sich vor und sagte: »Wir haben einen Anruf erhalten, wegen eines Todesfalls.« Am Ende des Satzes hob er fragend die Stimme.
Der maestro wandte sich an seinen Gefährten, der nach einem gequälten Blick auf Brunetti die Augen zu Boden senkte und dabei die glänzende Kopfhaut unter seinem spärlichen Haupthaar entblößte.
»Waren Sie es, der ihn gefunden hat, Signore?« fragte Brunetti den lichten Scheitel.
Der
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