Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas
den Vers 103 im Canto VII. nach. »L'acqua era buia assai più che persa.« -»Das Wasser war noch dunkler als persa«, murmelte er vor sich hin. »Was zum Henker bedeutet persa?« Ein Blick auf die Uhr ließ darauf hoffen, daß Paola noch zu Hause war, und Brunetti griff zum Telefon.
»Pronto«, meldete sie sich nach dem fünften Klingeln.
»Paola«, rief er aufgeregt, »was heißt persa?«
»In welchem Kontext?« erkundigte sie sich sachlich. Seine sonderbare Frage schien sie nicht im geringsten zu irritieren.
»Ein Dante-Zitat«, antwortete er.
»Ich glaube, es ist eine Farbe, aber ich sehe lieber mal im Kommentar nach. Warte einen Moment.« In weniger als einer Minute war sie zurück, und Brunetti hörte sie leise murmeln, während sie nach dem gewünschten Stichwort suchte - eine Gewohnheit, die Chiara von ihr übernommen hatte. Endlich hatte sie die gesuchte Stelle gefunden: »›Eine Farbe zwischen Purpur und Schwarz, aber Schwarz überwiegt.‹« Paola hielt inne und wartete auf seine Reaktion. Als keine kam, fragte sie: »Sonst noch was?«
»Bis jetzt nicht. Aber ich melde mich.«
Paola legte auf.
Brunetti wandte sich wieder dem Inferno zu. Der Fluß, dem Dante folgte, mündete schließlich in den Styx, aber Tassinis Verweis betraf nur das dunkle Wasser in Vers 103.
Das nächste Zitat mutete nicht weniger trostlos an:
»Nicht grün die Blätter, nein, von düstrer Farbe, / Nicht glatt die Äste, nein, gekrümmt und knotig.«
Brunetti fuhr mit der Suche fort: »Des Grabens Ufer überzog ein Schimmel, / Vom Dunst der Tief erzeugt, der hier sich ansetzt, / Den Augen und der Nase gleich verletzend.«
Und als letztes: »Und hob' wohl acht, die Füße / Noch nicht in den entbrannten Sand zu setzen.«
Insgesamt kaum der Stoff für einen großen Umweltskandal, aber wenn Signorina Elettra Tassini richtig beurteilte und er tatsächlich so ein Rechtgläubiger mit felsenfesten Überzeugungen gewesen war, dann hätte er diese Schilderungen aus der Danteschen Hölle nach eigenem Gutdünken ausgelegt und an Zeichen und Omen herausgelesen, was er darin finden wollte.
Brunetti beschloß, nun doch mit Patta zu reden, und sei es nur aus dem perversen Wunsch heraus, seine Einschätzung des Mannes bestätigt zu sehen. Hatte nicht Papst Celestin der Fünfte auf sein Pontifikat verzichtet, um sich der Macht des Amtes zu entledigen? Wie anders dagegen Patta, den an seinem Beruf nur eines interessierte, nämlich die Machtbefugnisse und Privilegien, die mit dem Amt einhergingen. Den Vice-Questore splitternackt und blutige Tränen vergießend durch ein Feld voller Würmer und Maden zu jagen, wäre vielleicht eine überzogene Strafe für seine Pflichtvergessenheit; dennoch begleitete Brunetti dieses Bild auf dem Weg zum Büro seines Vorgesetzten.
Signorina Elettra blickte vom Schreibtisch hoch, als er hereinkam, und setzte ein eigentümliches Lächeln auf. »Ich habe ein paar Erkundigungen über Signor Fasano eingeholt, und es spricht alles dafür, daß er der ist, der er zu sein vorgibt.«
»Sehr gut, vielen Dank auch«, lobte Brunetti geistesgegenwärtig. »Sagen Sie, Signorina, ist der ViceQuestore da?«
»Ja. Möchten Sie ihn sprechen?« fragte sie förmlich zurück. Als ob Brunetti einen anderen Grund hätte haben können, zwei Treppen herunterzusteigen und sich nach Patta zu erkundigen. Er versuchte sich zu erinnern, wie respektlos er sich bei ihrem letzten Gespräch über Fasano geäußert hatte: War sie deshalb so steif und zugeknöpft?
Signorina Elettra griff zum Telefon, drückte eine Taste, fragte nach, ob Dottor Patta für Commissario Brunetti zu sprechen sei, legte auf und nickte zur Tür. Brunetti bedankte sich noch einmal und betrat, ohne anzuklopfen, Pattas Büro.
»Ah, Brunetti!« rief der Vice-Questore ihm entgegen. »Ich war eben im Begriff, Sie anzurufen.«
»Ach wirklich, Dottore?« sagte Brunetti und ging zielstrebig auf Pattas Schreibtisch zu.
»Ja, setzen Sie sich, setzen Sie sich nur!« forderte Patta ihn mit einladender Geste auf.
Brunetti tat, wie ihm geheißen. Doch Pattas Leutseligkeit versetzte sein Warnsystem in höchste Alarmbereitschaft.
»Ich wollte mit Ihnen über diese Sache auf Murano sprechen«, sagte Patta.
Brunetti tat sein Bestes, um nur mäßiges Interesse zu bekunden.
»Ein Hirngespinst, mehr nicht«, fuhr Patta fort, »auch wenn Sie mit aller Gewalt einen Fall daraus konstruieren wollen.«
»Immerhin ist ein Mensch ums Leben gekommen, Dottore.« Ein Einwurf, mit dem
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