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Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas

Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas

Titel: Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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den Zustand der Leiche wußte.
    »Ich habe mich erboten, meinem Kollegen, Dottor Venturi, zur Hand zu gehen. Rein aus professioneller Neugier, weil ich so einen Fall noch nie gehabt hätte«, erklärte Rizzardi im sachlichen Ton des Spezialisten.
    Doch dann fuhr er mit veränderter Stimme fort: »Und das ist die Wahrheit, Guido. Ich hatte so was wirklich noch nie gesehen, kannte es nur aus der Fachliteratur. Du hättest seine Lungen sehen sollen! Das hätte ich mir im Leben nicht vorstellen können. Was die an Flüssigkeit produzieren mußten, damit er in dieser Hitze atmen konnte. Rauchvergiftungen hatte ich natürlich schon auf dem Tisch, doch ich hatte ja keine Ahnung, daß pure Hitze die gleiche verheerende Wirkung hat.«
    »Aber es war ein Herzinfarkt?« fragte Brunetti, und sei es nur, um Rizzardis akademische Begeisterung zu bremsen.
    »Ja. So hat Venturi es im Totenschein vermerkt.«
    »Und was hättest du reingeschrieben?« forschte Brunetti in der Hoffnung, Rizzardi würde seinen Verdacht doch noch bestätigen.
    »Herzinfarkt, Guido. Herzinfarkt! Daran ist der Mann gestorben, an einem Herzinfarkt.«
    »Eins noch, Ettore: Habt ihr den Inhalt seiner Taschen zu Protokoll genommen?«
    »Augenblick mal«, antwortete der Doktor. »Ich hatte die Liste eben noch in der Hand.« Brunetti hörte es knacken, als Rizzardi das telefonino ablegte, dann raschelte Papier.
    Kurz danach meldete der Pathologe sich wieder. »Also: ein Schlüsselbund, eine Brieftasche mit Ausweis sowie dreißig Euro in Scheinen, ein Taschentuch und ein paar lose Münzen im Wert von siebenundachtzig Cent. Das war alles.«
    Brunetti bedankte sich und legte auf.

20
    N ach dem Telefonat mit Rizzardi stieg Brunetti hinunter ins Archiv und kopierte die Gesetzestexte, deren Paragraphen Tassini sich notierte hatte. Zurück in seinem Büro, las er die Verordnungen durch. Die von 1973 erließ Grenzwerte für Abwässer, die in die Lagune, die Kanalisation, ja sogar ins Meer geleitet werden durften. Ferner bestimmte sie Fristen, binnen derer die Glashersteller spezielle Wasserfilter zu installieren hatten, und setzte eine Kommission zur Überprüfung dieser Anlagen ein. Die Verordnung von 1982 verhängte sogar noch strengere Auflagen zur Wasserentsorgung und erwähnte auch die Säuren, von denen Assunta gesprochen hatte. Während Brunetti diese Grenzwerte und Beschränkungen durchbuchstabierte, vernahm er eine innere Stimme, die sich nicht zum Schweigen bringen ließ, sondern hartnäckig fragte, wie es wohl vorher zugegangen und was alles in die Lagune geflossen sei, ehe diese Gesetze verabschiedet wurden.
    Als er mit den Texten fertig war, schien es ihm ein Gebot der Vernunft, Patta über Tassinis Notizen zu unterrichten und ihn über die Bedeutung einiger seiner Zahlenkombinationen aufzuklären. Gern hätte er angeregt, die von den geographischen Koordinaten bestimmten Orte untersuchen zu lassen, um Tassinis Verdacht auf seine Berechtigung hin zu überprüfen.
    Aber aufgrund langjähriger Erfahrung mit Patta und seinem Talent, die Untiefen der städtischen Bürokratie zu umschiffen, konnte er sich ausrechnen, wie empfänglich sein Vorgesetzter für einen solchen Vorschlag wäre. Falls Pelusso die Wahrheit gesagt hatte - und Brunetti sah keinen Grund, daran zu zweifeln -, dann war Fasano im übrigen einflußreich genug, um Patta mit einer Beschwerde matt zu setzen. Demnach hatte Brunetti ihn bisher unterschätzt.
    In seinem Entschluß schwankend geworden, setzte sich Brunetti, der bereits aufgestanden war, noch einmal hinter den Schreibtisch und stieß dabei versehentlich gegen eins von Tassinis Büchern, die sich ihm dadurch neuerlich in Erinnerung brachten. Wohin Dante wohl Patta verwiesen hätte? Unter die Heuchler? In den Sumpf der zornigen Seelen? Oder vielleicht hätte er Barmherzigkeit walten lassen und den Vice-Questore nur in die Vorhölle zu den lauen Seelen, den Opportunisten, geschickt. Brunetti schlug die erste Textseite von L'Inferno auf und ließ den Blick darauf ruhen. Canto I. Canto I. Er blätterte ein Stück weiter, und auf einmal fiel es ihm wie Schuppen von den Augen: Canto II. und dann Canto III. und als nächstes Canto IV. Brunetti holte tief Luft: Wie hatte er nur so blind sein können? Er hatte das Buch und zugleich Tassinis Notizen mit den römischen Ziffern in Händen gehalten und trotzdem nichts begriffen.
    Anhand des entsprechenden Blattes von Tassinis Aufzeichnungen suchte er die erste Zahlenkombination heraus und schlug dann

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