Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas

Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas

Titel: Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
Vom Netzwerk:
lächelnd zur Antwort gab: »Es sollte mich nicht wundern, wenn meine Mutter früher einmal ganz ähnlich über dich gedacht hätte, Guido.« Doch dann beugte sie sich vor und drückte seine Hand zum Zeichen, daß sie nur Spaß machte. Zumindest hoffte er das.
    Brunetti erhob sich und nahm Paola die leere Tasse ab. »Ich glaube, es wird Zeit für mich«, sagte er und nahm sich vor, auf dem Weg ins Büro die Morgenzeitungen zu kaufen. Er war gespannt, was sie über den Tod auf Murano berichten würden.
    Paola nickte, griff nach dem Buch auf ihrem Nachttisch, schlug es auf und zog ihre Brille von der Stirn herunter. Brunetti nahm Tassinis Buch vom Bett und ging in die Küche, wo er ihre Tassen ins Spülbecken stellte.
    Auf dem Weg zur Questura besorgte Brunetti sich den Corriere und den Gazzettino und breitete die Blätter auf dem Schreibtisch aus, sobald er sein Büro betreten hatte. Da die Leiche am Vortag in aller Frühe entdeckt worden war, hatten die Reporter den ganzen Tag Zeit gehabt, in der Fabrik, im Krankenhaus und endlich in Tassinis Wohnung herumzuschnüffeln. Der Gazzettino brachte ein Foto von Tassini, das offenbar schon etliche Jahre alt war, und eines von der Fornace De Cal mit drei Carabinieri im Vordergrund. Brunetti hatte keine Ahnung, daß und warum sie hinzugezogen worden waren. Wie beide Zeitungen übereinstimmend berichteten, war Tassinis Leiche von einem Kollegen entdeckt worden, der die Aufgabe hatte, vor der Frühschicht das Glasgemenge, das über Nacht in den Schmelzöfen aufbereitet wurde, zu temperieren. Die Temperatur am Fundort der Leiche, unmittelbar vor einem der Öfen, wurde auf weit über hundert Grad Celsius geschätzt.
    Die Polizei hatte Tassinis Kollegen und seine Familie vernommen, die offiziellen Ermittlungen würden jedoch erst nach dem Ergebnis der Obduktion aufgenommen werden. Tassini, 36, war seit sechs Jahren bei De Cal beschäftigt und hinterließ eine Frau mit zwei Kindern.
    Kaum daß Brunetti die beiden Artikel zu Ende gelesen hatte, rief er Ettore Rizzardi, den medico legale, auf seinem Handy an. Der Pathologe meldete sich mit einem lakonischen »Sì.«
    »Ich bin's, Guido«, begann Brunetti.
    Bevor er weitersprechen konnte, unterbrach ihn Rizzardi lebhaft: »Du wirst es nicht glauben, aber er ist an einem Herzinfarkt gestorben!«
    »Wie bitte? Er war noch keine vierzig!«
    »Es war ja auch nicht die Art von Infarkt, die du meinst«, versetzte Rizzardi zum Erstaunen Brunettis, der nicht gewußt hatte, daß es mehr als einen Typus gab.
    »Was für einer dann?«
    »Der Mann war völlig dehydriert«, sagte Rizzardi und fuhr fort: »Er hat fast die ganze Nacht dort gelegen. Die Hitze hat ihn umgebracht. Venturi, dieser Trottel, hat sich nicht die Mühe gemacht, die Temperatur zu messen, aber ich habe in der fornace angerufen und mich bei den maestri schlau gemacht. Die konnten mir sagen, wie hoch die Raumtemperatur gewesen sein muß, wenn der Ofen auf circa 1400 Grad erhitzt war und die Türe offenstand.«
    »Und wie hoch?« fragte Brunetti.
    »Rund hundertfünfzig Grad«, antwortete Rizzardi. »Allerdings nur unmittelbar vor der Öffnung. Unten am Boden wäre es nicht ganz so heiß, aber immer noch heiß genug, um jemanden umzubringen.«
    »Was passiert da?«
    »Man schwitzt. Schlimmer als in jeder Sauna, die du dir vorstellen kannst, Guido. Man schwitzt und schwitzt, bis kein Tropfen mehr im Leib ist. Aber bis die Schweißproduktion versiegt, hat er sämtliche Mineralien ausgeschwemmt. Ohne die jedoch, insbesondere Natrium und Kalium, wird der Herzschlag arrhythmisch, und in der Folge kommt es zum Infarkt.«
    »Und dann stirbt man«, ergänzte Brunetti.
    »So ist es, ja.«
    »Irgendwelche Spuren von Gewalteinwirkung?« fragte Brunetti.
    »Eine Schürfung am Kopf, mit Bluterguß. Die Haut war aufgeplatzt, aber kein Schmutz in der Wunde und kein Hinweis darauf, woran er sich gestoßen haben könnte.«
    »Oder womit er geschlagen wurde?« warf Brunetti ein.
    »Oder in Berührung kam, Guido«, entgegnete Rizzardi mit fester Stimme. »Die Wunde hat eine Weile geblutet, bis der Tod eintrat.«
    Daß eventuelle Spuren menschlichen Gewebes an der Ofentür durch die Hitze zerstört worden wären, hatte er bereits von Bocchese gehört, weshalb Brunetti sich gar nicht erst danach erkundigte. »Sonst noch was?« fragte er nur.
    »Nein«, sagte Rizzardi, »keinerlei Verdachtsmomente.«
    »Hast du ihn obduziert?« fragte Brunetti, plötzlich gespannt darauf, wieso Rizzardi soviel über

Weitere Kostenlose Bücher