Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas

Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas

Titel: Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
Vom Netzwerk:
Brunetti seinen Vorgesetzten überrumpeln und ihn dazu bewegen wollte, die eigenen Worte noch einmal zu überdenken.
    Patta maß ihn mit durchdringendem Blick. »An einem Herzinfarkt, Brunetti. Der Mann starb an einem Herzinfarkt.« Der leutselige Ton hatte sich verflüchtigt. Als Brunetti keine Antwort gab, fügte Patta hinzu: »Ich ging davon aus, daß Sie inzwischen mit Ihrem Freund Rizzardi gesprochen hätten, Commissario.« Und da Brunetti jede Stellungnahme zu verweigern schien, wiederholte Patta noch einmal: »Er starb an einem Herzinfarkt.«
    Brunetti saß schweigend da. Offenbar war Patta noch nicht am Ende. Und wirklich fuhr der ViceQuestore fort: »Ich weiß nicht, ob Sie sich schon eine Theorie zurechtgelegt haben, die für einen unnatürlichen Tod spricht, Brunetti. Aber wenn ja, dann widerrufen Sie die gefälligst. Der Mann ist zusammengebrochen und an einem Herzinfarkt gestorben. Ein Arbeitsunfall, basta.«
    »Er war Nachtwächter, kein Glasbläser«, wandte Brunetti ein. »An dem Schmelzofen hatte er nichts verloren.«
    »Im Gegenteil«, versetzte Patta mit einem Gleichmut, den Brunetti ebenso verblüffend wie aufreizend fand. »Gerade weil er Nachtwächter war, hatte er jede Menge Gründe, sich dort aufzuhalten. Ein Defekt am Ofen beispielsweise, ein plötzlicher Temperaturanstieg, den er regulieren mußte. Vielleicht hatte auch jemand diese Stange herumliegen lassen, über die er dann, als er sie wegräumen wollte, so unglücklich gestolpert ist. Oder er hat es gemacht wie so viele in diesen Werkstätten, die sich nachts als heimliche Glasbläser ein kleines Zubrot verdienen.« Pattas Lächeln unterstrich die Plausibilität all dieser Möglichkeiten, und Brunetti fragte sich, woher der Vice-Questore als Sizilianer soviel über die Kunst des Glasmachens auf Murano wußte. Scarpa wäre eine denkbare Quelle, Scarpa, der den Wunsch seines Vorgesetzten teilte, die Stadt als kriminalitätsfreie Zone auszugeben, und welches Verbrechen konnte einer solchen Bilanz mehr schaden als Mord? Doch Scarpa war genausowenig ein Venezianer wie sein Herr und Meister. Dann also Fasano?
    Noch bevor er den Mund aufmachte, war Brunetti klar, daß er nichts würde ausrichten können gegen Pattas selbstgefällige Überzeugung, daß die Ermittlungen - wie klein und bescheiden man sie auch geführt haben mochte - nunmehr gegenstandslos seien. Trotzdem sagte er: »Was mich zu Ihnen führt, Dottore, sind gewisse Dokumente, die sich in Tassinis Besitz befanden.«
    »Was heißt in seinem Besitz?«
    »Er verwahrte sie bei sich zu Hause auf.«
    »Und wie sind diese Papiere in Ihren Besitz gelangt, Commissario?«
    »Ich habe sie an mich genommen, als ich seiner Witwe die traurige Nachricht überbrachte.«
    »Haben Sie einen Bericht über diese Beschlagnahme angefertigt?«
    »Selbstverständlich«, log Brunetti, der wußte, daß es für Signorina Elettra ein leichtes war, seinen Bericht zurückzudatieren, wenn er endlich dazukam, ihn zu schreiben.
    Patta zog seine Antwort nicht in Zweifel. Statt dessen fragte er: »Und um was für Dokumente handelt es sich?«
    »Listen mit Zahlencodes.«
    »Was denn für Zahlen?«
    »Zahlen, die auf diverse Gesetze und auf bestimmte geographische Positionen verweisen. Und auf etliche Stellen in Dantes Inferno. Eine Ausgabe des Gedichts lag in Tassinis Kammer an seinem Arbeitsplatz.«
    »Und befindet dieses Buch sich jetzt ebenfalls in Ihrem Besitz?« fragte Patta.
    »Ja.«
    »Ist das nun alles, was Sie gefunden haben, Brunetti? Oder gibt es noch etwas außer« - hier wechselte Patta in jene gedehnte Sprechweise, wie man sie gegenüber eigensinnigen oder ungehorsamen Kindern benutzt - »Zahlen, die auf diverse Gesetze und bestimmte geographische Positionen verweisen, nicht zu vergessen Dantes Inferno?« Patta konnte oder wollte der Versuchung nicht widerstehen, Brunetti fast im Wortlaut nachzuäffen.
    Der aber stellte sich taub gegen diese Kränkung und antwortete wie auf eine ernsthafte Nachfrage: »Es muß einen Grund dafür geben, daß Tassini diese Zahlen gesammelt hat, Dottore.«
    Patta schüttelte in gespielter Verwirrung den Kopf. »Diverse Gesetze und bestimmte Positionen? Ich bitte Sie, Brunetti! Was kommt als nächstes, die Losnummer, die bei der Lotterie gewinnt? Oder die geographischen Koordinaten für die Landung der Außerirdischen?« Patta erhob sich, ging, um seiner Erregung Herr zu werden, ein paar Schritte auf und ab und murmelte »Dante, Dante« vor sich hin, bevor er sich bezwang,

Weitere Kostenlose Bücher