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Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen

Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen

Titel: Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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ist mein Freund«, ergänzte er dann, »aber er ist auch mein Patient, und ich habe die Pflicht, ihn zu schützen, so gut ich kann.«
    »Wovor denn?« fragte Brunetti. Auf Dottor Damascos Bemerkung über die Ehrlichkeit seines Freundes und deren nachteilige Folgen wollte er im Moment nicht eingehen.
    Damascos freundliches Lächeln wirkte entwaffnend, als er zur Antwort gab: »Im Zweifelsfalle vor der Polizei, Commissario.« Damit wandte er sich ab und kehrte an Pedrollis Bett zurück. »Und jetzt, meine Herren«, sagte er mit einem Blick über die Schulter, »lassen Sie mich bitte mit meinem Patienten allein.«

5
    A ls Brunetti und Vianello auf den Flur hinaustraten, war Marvilli immer noch da. Er lehnte mit dem Rücken an der Wand, und seine Pose war die gleiche wie bei Brunettis erster Begegnung mit ihm.
    »Und? Was hat der Dottore gesagt?« forschte Marvilli.
    »Daß sein Patient nicht sprechen kann, weil er einen Schlag auf den Kopf bekommen hat.« Brunetti referierte bewußt nur eine der möglichen Ursachen, die der Neurologe für Pedrollis Problem benannt hatte. Er ließ dem Hauptmann Zeit, das Gehörte zu verarbeiten, bevor er seinerseits fragte: »Wollen Sie mir jetzt erzählen, was passiert ist?«
    Marvilli spähte den Flur entlang, ob es unliebsame Lauscher gäbe. Nachdem er sich vergewissert hatte, daß sie allein waren, löste er sich aus seiner verkrampften Pose, schob den Ärmel hoch und sah auf die Uhr. »Die Cafeteria hat noch nicht geöffnet, oder?« fragte er. Und klang auf einmal eher müde als argwöhnisch. »Der Automat ist kaputt«, setzte er hinzu, »aber ich könnte wirklich einen Kaffee gebrauchen.«
    »Das Café im Untergeschoß macht manchmal früher auf«, warf Vianello ein.
    Marvilli nickte dankbar und stiefelte los, ohne abzuwarten, ob die Polizisten sich ihm anschließen würden. Als er am Ende des Korridors zielstrebig Richtung Dermatologie abbog, war Brunetti so verblüfft, daß er ihn nicht rechtzeitig zurückrief.
    »Laß nur«, sagte Vianello und schlug die entgegengesetzte Richtung ein. »Irgendwann wird er schon hinfinden.«
    Unten angekommen, hörten sie durch die offene Tür zum Café das Ratschen der Kaffeemühle und das Zischen der Espressomaschine. Erst wollte der Barmann ihnen den Zutritt verwehren, aber als Brunetti seinen Dienstausweis vorzeigte, ließ er sich erweichen und bediente sie schon vor der Öffnungszeit. Die beiden Polizisten stellten sich an den Tresen, rührten Zucker in ihren Kaffee und warteten auf Marvilli. Zwei Pfleger in blauen Kitteln kamen herein und bestellten caffè corretto, einer mit einem kräftigen Schuß Grappa, der andere mit Fernet-Branca. Sie tranken rasch aus und gingen, ohne zu zahlen. Doch Brunetti sah, wie der Barmann ein neben der Kasse festgeklemmtes Merkbuch hervorzog, darin blätterte und rasch etwas notierte.
    »Guten Morgen, Commissario«, ertönte eine leise Stimme von hinten, und als Brunetti sich umwandte, stand Dottor Cardinale vor ihm.
    »Ah, Dottoressa!« grüßte Brunetti und machte der jungen Ärztin am Tresen Platz. »Darf ich Sie zu einem Kaffee einladen?« fragte er so laut, daß der Barmann es hören mußte.
    »Und mir das Leben retten«, antwortete sie lächelnd und stellte ihre Arzttasche auf den Boden. »In der letzten Stunde ist es am schlimmsten. Da kommt normalerweise niemand mehr, und meine Gedanken kreisen nur noch um den Kaffee. So ähnlich dürfte es einem in der Wüste ergehen: Er kann an nichts anderes mehr denken als an diesen ersten, lebensrettenden Schluck.«
    Ihr Kaffee kam, und sie gab drei Tütchen Zucker hinein. Auf den Blick der beiden Polizisten hin erklärte sie trocken: »Wenn ich meine Patienten dabei erwischte, würde ich ihnen die Leviten lesen.« Dottoressa Cardinale schwenkte die Tasse ein paarmal hin und her, und Brunetti hatte das Gefühl, sie wisse genau, wie viele Schwenks nötig waren für die richtige Trinktemperatur.
    In einem Zug stürzte die Ärztin den Kaffee hinunter und stellte die Tasse ab. »Gerettet«, sagte sie zu Brunetti. »Jetzt bin ich wieder ein Mensch.«
    »Trauen Sie sich noch einen zu?« fragte Brunetti.
    »Nicht, wenn ich schlafen möchte, sobald ich nach Hause komme«, sagte sie. »Aber danke für das Angebot.«
    Dottor Cardinale bückte sich nach ihrer Tasche, als Brunetti fragte: »Dieser Polizist, Dottoressa, wie schwer verletzt war der wirklich?«
    »Abgesehen von seinem Stolz nicht der Rede wert, würde ich sagen.« Dottor Cardinale hob die Tasche hoch und fuhr

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