Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen
Wasser. Als er antwortete, klang seine Stimme plötzlich nervös, so als gebe er streng geheime Informationen preis. »Eine der Frauen, die mit der Polin das Zimmer teilten. Die beiden haben zur gleichen Zeit entbunden. Diese Zeugin gab an, die Polin habe immer nur von ihrem Freund gesprochen und davon, daß es ihr sehnlichster Wunsch sei, ihn glücklich zu machen. Was anscheinend bedeutete, bei der Rückkehr nach Polen eine Menge Geld mitzubringen, wie sie es ihm bei jedem Telefonat versprach.«
»Verstehe«, sagte Brunetti. »Und diese Zimmergenossin aus der Klinik, die hat Sie verständigt?«
»Nein, sie hat es ihrem Mann erzählt, der aber ist beim Sozialamt und hat das Kommando in Vicenza benachrichtigt.« Damit wandte der Capitano sich zum Gehen.
Brunetti, der sich eben noch auf ein herannahendes Wassertaxi konzentriert hatte, machte kehrt und schloß sich Marvilli an. »Welch günstige Fügung, Capitano! Die Ordnungsstreitkräfte können weiß Gott dankbar sein, wenn ihnen solch glückliche Zufälle zu Hilfe kommen. Die Zimmergenossin konnte also gerade genug Polnisch, um zu verstehen, was die junge Frau ihrem Freund am Telefon erzählte.« Brunetti beäugte den Capitano von der Seite. »Ganz zu schweigen von dem praktischen Umstand, daß der Ehemann ausgerechnet beim Sozialamt arbeitet und gleich pflichtschuldig die Carabinieri alarmierte.« Brunettis Blick sprühte vor Zorn.
Marvilli zögerte lange, bevor er sich zu einer Erwiderung durchrang. »Also gut, Commissario.« Er hob ergeben die Hände. »Wir hatten schon vorher, aus anderer Quelle, von der Sache Wind bekommen, und die Informantin wurde in die Klinik eingeschleust, bevor die Polin dort eintraf.«
»Und der besorgte Anruf des Mannes vom Sozialamt?«
»Diese Operationen sind streng geheim!« gab Marvilli gereizt zurück.
»Nun kommen Sie schon, Capitano.« Mit zunehmender Helligkeit wurde es wärmer, und Brunetti knöpfte sein Jackett auf.
Brüsk wandte Marvilli sich ihm zu. »Darf ich offen sprechen, Commissario?« Bei Tageslicht sah man erst richtig, wie jung er noch war.
»Ich sollte es vielleicht gar nicht erwähnen, Capitano, aber Ihre Frage läßt darauf schließen, daß Sie bisher nicht aufrichtig gewesen sind.« Dann wurde Brunettis Stimme plötzlich sanft. »Doch, ja, reden Sie nur frei von der Leber weg.«
Marvilli blinzelte, unsicher, ob er auf Brunettis Worte reagieren solle oder auf seinen versöhnlichen Ton. Er stellte sich auf die Zehenspitzen und nahm die Schultern zurück. »O Gott«, seufzte er, »ich hasse diese Razzien vor Tagesanbruch. Wir waren heute nacht überhaupt nicht im Bett.«
»Noch einen Kaffee?« schlug Brunetti vor.
Da lächelte Marvilli zum ersten Mal und wirkte gleich noch jünger. »Vorhin sagten Sie zu dem Barmann, der Kaffee habe der Dottoressa das Leben gerettet. Wahrscheinlich gilt das jetzt auch für mich.«
»Vianello!« rief Brunetti dem Inspektor zu, der immer noch am Fuß der Brücke stand und so tat, als bewundere er die Fassade des Bauwerks zu seiner Linken. »Was hat hier in der Nähe um die Zeit schon auf?«
Vianello sah auf seine Uhr. »Ponte dei Greci«, sagte er und kam die Stufen herauf.
Als sie vor der Bar anlangten, war das Eisengitter vor Tür und Schaufenstern ein paar Zentimeter hochgezogen, genug, um anzuzeigen, daß es drinnen bereits Kaffee gab. Brunetti klopfte ans Gitter und rief: »Sergio, bist du da?« Nach wiederholtem Klopfen erschienen vier stark behaarte Finger am unteren Rand des Gitters, das sich langsam hob. Zur Überraschung der beiden Polizisten ging Marvilli in die Hocke und half von außen mit, das Gitter hochzuziehen. Als es über der Tür eingerastet war, stand Sergio vor ihnen: beleibt, mit dichtem dunklem Schopf; ein, wie Brunetti fand, höchst willkommener Anblick.
»Schlaft ihr Brüder denn gar nicht?« knurrte Sergio, doch es klang eher gutmütig. Dann trat er zurück in die Bar und stellte sich hinter den Tresen. »Drei?« fragte er ohne nähere Angabe. Er sah seinen übernächtigten Gästen an, was sie brauchten.
Brunetti nickte und steuerte eine Nische beim Fenster an.
Man hörte die Kaffeemaschine zischen und eine Tür zuschlagen. Als Brunetti aufblickte, sah er einen hochgewachsenen Afrikaner, der eine Strickjacke über der hellblauen Jellaba trug, ein Tablett mit abgedecktem frischem Gebäck hereintragen. »Bring's rüber zu den Herren am Tisch, Bambola, ja?« rief Sergio.
Der Afrikaner wandte sich ihrer Nische zu, doch als er Marvillis
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