Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen
Uniformjacke erkannte, schrak er unwillkürlich zusammen. Jäh blieb er stehen und hielt das Tablett schützend vor seine Brust.
Vianello machte eine lässige Handbewegung. »Wir sind noch nicht im Dienst!« rief er. Bambolas Blick schweifte von ihm zu den beiden anderen, und als die bestätigend nickten, entspannte sich sein Gesicht. Er kam an ihren Tisch, stellte das Tablett ab und zog dann, wie ein Zauberer, das Papier weg. Ein Duftgemisch aus Rahm, Eischnee, Zucker, Rosinen und frischgebackenem Teig erfüllte die Luft.
»Lassen Sie's einfach stehen«, sagte Marvilli; dann schob er ein »bitte« nach.
Der Afrikaner ging zum Tresen, wechselte ein paar Worte mit Sergio und verließ die Bar.
Kaum, daß jeder der drei sich ein Gebäckstück ausgesucht hatte, war Sergio auch schon mit dem Kaffee zur Stelle sowie mit einer Kuchenplatte, auf die er ihre Teilchen lud. Die übrigen nahm er mit hinter den Tresen, wo er sie in einer Plexiglasvitrine anordnete.
Wie in stummem Einverständnis darüber, daß die Diskussion von Polizeibelangen sich nicht mit dem Verzehr von Brioches vertrüge, schwiegen die drei Männer, bis die Kaffeetassen geleert waren und die Teilchen verzehrt. Brunetti spürte alsbald, wie Koffein und Zucker seinen Kreislauf anregten, und auch die beiden anderen belebten sich rasch.
»Und dann«, nahm Brunetti seine Befragung wieder auf, »wie ging es weiter, nachdem das Paar aus Mailand mit dem Baby der Polin heimgefahren war?« Im Krankenhaus hatte der Hauptmann nur gesagt, die Operation Pedrolli sei Teil einer Großrazzia gewesen, doch Brunetti war sicher, daß man ihn früher oder später dazu bringen würde, dies zu präzisieren.
Marvilli knüllte seine Papierserviette zusammen und sagte: »Aufgrund einer richterlichen Verfügung hat man sie observiert.«
»Und das heißt?« forschte Brunetti, als ob er nicht Bescheid wüßte.
»Nun, Telefon, Fax und Mail-Anschluß wurden angezapft, ebenso ihre Handys. Ihre Post wurde geöffnet, und hin und wieder hat man sie beschattet«, antwortete Marvilli.
»Galt das auch für Dottor Pedrolli und seine Frau?« erkundigte sich Brunetti.
»Nein, der Fall lag anders«, versetzte Marvilli.
»Inwiefern?«
Marvilli kniff die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. »Ich kann nicht mehr sagen, als daß die Informationen über Dottor Pedrolli aus einer anderen Quelle kamen.«
»Können oder wollen Sie nicht?« hakte Brunetti nach.
»Ich kann nicht«, beharrte Marvilli. Ob er so mißmutig klang, weil ihm die Frage lästig war oder weil er sie wirklich nicht beantworten konnte, vermochte Brunetti nicht zu entscheiden.
Trotzdem gestattete der Commissario sich noch eine letzte Frage. »Wußten Sie über die Pedrollis auch schon von Anfang an Bescheid?«
Marvilli schüttelte nur den Kopf.
Brunetti gab sich damit zufrieden, und sei es nur, weil der wiederholte Hinweis darauf, daß der Fall Pedrolli eine Sonderstellung einnahm, ja sich irgendwie von dem langgeplanten Einsatz unterschied, ihn so sehr beschäftigte. Als Vianello sich anschickte, etwas zu sagen, nutzte der Commissario dies als Chance, um nicht länger zu insistieren. Er wandte sich dem Inspektor zu, den er diesmal absichtlich mit dem Vornamen ansprach, und fragte: »Ja, Lorenzo, was gibt's denn?«
»Capitano«, begann Vianello, »wenn Ihre Vorgesetzten wußten, was da ablief, wieso wurden die Beteiligten nicht einfach verhaftet?«
»Weil wir den Mittelsmann schnappen wollten«, erklärte Marvilli, »und natürlich die Drahtzieher.« An Brunetti gewandt, setzte er hinzu: »Inzwischen dürfte Ihnen doch klar sein, daß wir nicht nur an den Personen interessiert sind, die heute nacht festgenommen wurden, oder?«
Brunetti nickte.
»Es handelt sich hier keineswegs um Einzelfälle«, fuhr Marvilli fort. »Illegaler Babyhandel wird landesweit betrieben. Wir haben wahrscheinlich keine Vorstellung davon, wie verbreitet er schon ist.«
Der Capitano wandte sich jetzt wieder Vianello zu. »Darum brauchen wir den Mittelsmann, um herauszufinden, wer die Papiere besorgt hat, die Geburtsurkunden, ja in einem Fall sogar gefälschte Klinikunterlagen, die einer Frau, die gar kein Kind bekommen hatte, eine Entbindung bescheinigten.« Nach dieser Rede faltete Marvilli wie ein gehorsamer Schüler die Hände auf dem Tisch.
Brunetti ließ ein paar Sekunden verstreichen, ehe er das Wort ergriff. »Den einen oder anderen Fall hat es auch hier, im Veneto, gegeben. Aber soviel ich weiß, ist dies die erste Festnahme
Weitere Kostenlose Bücher