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Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen

Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen

Titel: Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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erinnerte er sich noch gut an den ebenso verzweifelten wie erschütternden Leserbrief in La Repubblica, in dem eine Mutter gestand, daß sie bewußt gegen das Gesetz verstoßen und ihrer zwölfjährigen Tochter zu einer Nierentransplantation in Indien verholfen hatte. Die Frau zitierte die Diagnose und legte dar, daß ihre Tochter auf der Dringlichkeitsliste des staatlichen Gesundheitsdienstes für eine Transplantation so niedrig eingestuft worden sei, daß es einem Todesurteil gleichkam.
    Die Mutter war sich durchaus im klaren darüber, daß ein anderer Mensch, vielleicht ein Kind wie das ihre, aus blanker Not gezwungen sein würde, einen Teil seines Körpers zu verkaufen. Sie wußte auch, daß die Gesundheit des Spenders künftig auf Dauer gefährdet sein würde, egal wie hoch man ihn entlohnte oder was er mit dem Geld anfing. Doch als sie das Leben ihrer Tochter gegen das verschärfte Risiko eines Fremden abwog, hatte sie sich dafür entschieden, diese Schuld auf sich zu nehmen. Weshalb sie mit ihrer Tochter nach Indien flog, wo deren defekte Niere gegen eine gesunde ausgetauscht wurde.
    Einer der Aspekte, die Brunetti insgeheim seit jeher an den antiken Dichtern und Denkern bewundert hatte - und derentwegen er sie wieder und wieder las -, war die scheinbare Leichtigkeit, mit der sie ihre moralischen Urteile fällten. Richtig oder falsch; schwarz und weiß. Ach, was für unbeschwerte Zeiten!
    Doch dann traten die Naturwissenschaften auf den Plan und streuten Sand ins ethische Getriebe. Um mit ihnen und der modernen Technologie Schritt zu halten, taugten die überlieferten Moralprinzipien nicht mehr. Empfängnisprobleme konnten heutzutage auf vielfältige Weise behoben werden, die Toten waren nicht mehr gänzlich tot, die Lebenden aber auch nicht unbedingt lebenstauglich, und vielleicht gab es tatsächlich einen Ort, an dem Herzen und Lebern zum Verkauf standen.
    All diese Gedanken hätte Brunetti dem Inspektor gern mitgeteilt. Doch da er nicht wußte, wie er sie zusammenfassen, geschweige denn plausibel machen sollte, trat er neben Vianello und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Ich habe keine großen Antworten, Lorenzo, nur ein paar kleine Ideen.«
    »Und was heißt das?«
    »Es heißt«, versetzte der Commissario, obwohl ihm die Eingebung erst in dem Moment gekommen war, »daß wir, die wir mit Pedrollis Festnahme nichts zu tun haben, ihn vielleicht beschützen könnten.«
    »Ich fürchte, ich verstehe nicht ganz«, gestand Vianello.
    »Ich verstehe es ja selber nicht recht, aber mir scheint, dieser Dottor Pedrolli könnte Schutz gebrauchen.«
    »Vor Marvilli?«
    »Nein, vor dem nicht. Aber vor den Herrschaften, für die Marvilli arbeitet.«
    Vianello nahm auf einem der Besucherstühle vor Brunettis Schreibtisch Platz. »Hattest du schon mal mit denen zu tun?« fragte er.
    Brunetti, der immer noch viel zu aufgedreht war vor lauter Koffein und Zucker, als daß er sich hätte setzen mögen, blieb, an den Schreibtisch gelehnt, stehen. »Mit den Carabinieri-Oberen in Verona? Nicht persönlich, nein. Aber ich meinte auch eher den Typ.«
    »Den, der unschuldige Babys ins Waisenhaus steckt?« fragte Vianello, den dieser Gedanke offenbar nicht mehr losließ.
    »Ja«, bestätigte Brunetti, »ich denke, das trifft es ziemlich gut.«
    Vianello nickte zustimmend. »Aber wie können wir ihn schützen?«
    »Als erstes müßte man feststellen, ob er einen Anwalt hat und, wenn ja, welchen«, antwortete Brunetti.
    Mit einem bitteren Lächeln versetzte Vianello: »Klingt nicht, als hättest du viel Zutrauen zu unseren Rechtsvertretern.«
    »Wenn man Pedrolli all das zur Last legt, was Marvilli uns genannt hat, dann braucht der Dottore einen guten Verteidiger.«
    »Donatini?« So widerstrebend, wie der Name dem Inspektor über die Lippen kam, hätte man meinen können, es handele sich dabei um etwas Anstößiges.
    Brunetti hob in gespieltem Entsetzen die Hände. »Nein, so weit würde ich denn doch nicht gehen. Pedrolli braucht jemanden, der so gut ist wie Donatini, aber trotzdem anständig.«
    Mehr Brunetti zuliebe denn aus Überzeugung warf Vianello ein: »Anständig? Ein Rechtsanwalt?«
    »Da gibt es schon einige«, beharrte Brunetti. »Rosato zum Beispiel, obwohl ich nicht weiß, ob der noch in Strafrecht macht. Dann Barasciutti und Leonardi ...« Hier stockte der Commissario und verstummte schließlich ganz.
    Ohne ein Wort darüber zu verlieren, daß ihnen, die in ihrer Laufbahn zusammengenommen seit fast einem halben

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